Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
Himmels ergründen zu wollen. Eine so tiefgründige Schönheit lag in diesem zarten Gesicht, dass die Frau die gierigen Blicke der Mönche nicht verachten oder verabscheuen konnte. Sie erschienen ihr einfach nur natürlich - und unabwendbar.
Als hätte sie den Blick gespürt, wandte ihre Schwester ihren Blick in Richtung der jungen Frau. Ein wunderbares, warmes Lächeln erschien auf dem Gesicht der Schwester und einen kurzen Augenblick später lachte auch die junge Frau. Der kurze Moment der Sorge, welcher wie ein Stich in das Herz der jungen Frau gefahren war, als sie den ersten Blick in die dunklen und untergründlichen Augen ihrer Schwester geworfen hatte, war schnell vergessen.
Bald schon saßen die Schwestern zusammen unter dieser alten Eiche. Dieser alte Baum bildete den Mittelpunkt des kleinen Klosters in den Bergen und seine Wurzeln reichten tief. Die junge Frau hatte ihre Seele tief in sich eingeschlossen, denn nur so hatte sie vergessen können. Es waren dunkle Tiefen, in die nie ein fremder Mensch würde blicken können. Ihre Familie war dort unten, die Liebe ihrer Eltern, die warmen Sommertage ihrer Kindheit. Nur ihre Schwester ließ sie hinein, wie flüssiger Sonnenschein, der die Kälte verbrannte, die leise in ihr Herz zu schleichen suchte. Und doch – ahnte sie, was in den Augen ihrer Schwester ruhte? Augen, deren Farbe sie nicht mehr hatte bestimmen können.
Auch wenn sich hin und wieder nachts der ein oder andere Mönch wie ein dunkler Schatten in ihr Schlafgemach stahl und sich ihres Körpers bemächtigte – nichts schien sie mehr erschüttern zu können. Sie brauchte nur an diesen tiefen, geheimen Ort in sich selber denken und sie wusste, sie brauchte nie wieder Angst haben. Doch die dunklen, unergründlichen Augen dieses blond umrahmten, wunderbaren Gesichts ihrer Schwester blickten fragend, als ahnten sie, was für Dinge in der enigmatischen Tiefe der Seele schlummern mochten. Ahnten sie, was ihre Schwester manchmal in diesen dunkelsten aller Nächte erdulden musste?
Doch lange schaffte sie es, ihren Schmerz in einem Lächeln zu verstecken. Nicht aus Scham oder Angst um sich – sie fürchtete um diesen Hort des Friedens, der trotz allem zu einer Heimat geworden war. Vielleicht keine gute Heimat, doch war er nicht besser als das Chaos, welches gleich hinter den groben Klostermauern begann?
Ja, die Schwarzhaarige fürchtete diese wunderbaren Augen ihrer Schwester, fürchtete das Dunkle, welches dahinter lag und sie lauernd zu betrachten schien.
Doch wie das Unheil in der Natur des Menschen liegt, so konnte auch das Schweigen der Frau nicht den Lauf des Schicksalsrades aufhalten.
Sie hatte auch später nie sagen können, was das Lächeln ihrer Schwester eines Tages zum Verschwinden brachte. War es schlecht kaschierter Ekel nach einer dieser schlimmen Nächte? Waren es die Spuren an ihrem Körper, die manche Mönche in ihrer Gier und ihrer Selbstherrlichkeit hinterließen? War es das höhnische Geflüster der anderen Flüchtlinge, welches die Ecken des Klosters erfüllten?
Was auch immer der Grund gewesen sein mochte - an einem Tag im Sommer blickte ihre Schwester der jungen Frau zornig ins Gesicht. Die blonden Haare wehten in einem kalten Wind, der plötzlich aufgekommen war und etwas in sich trug wie ein Menetekel.
Die Frau versuchte zu beschwichtigen, versuchte die dunkle Flut aufzuhalten, die sich hinter diesen vertrauten und doch schmerzlich fremden Augen auftürmte wie ein Gewittersturm - bereit alles mit sich zu reißen und zu vernichten...
Doch war alle Mühe vergebens – denn diese Wut war nichts, das sich beschwichtigen lassen wollte. Sie brach aus, wie ein wildes, nach Blut dürstendes Tier.
Lange würde die junge Frau heimlich daran zweifeln, ob sie wirklich alles getan hatte, um die Raserei in ihrer Schwester zu besänftigen.
***
Tyark schreckte schweißgebadet auf und wusste einen Moment nicht, wo er war. Dann erkannte er erleichtert die groben Bohlen der Holzdecke des Tempels, roch das Stroh, und spürte Zaja, die neben ihm lag. Die Reste des Traumes schmolzen rasch dahin und Tyark ließ es zu.
Ruhig blickte er Zajas an, lauschte ihrem gleichmäßigen Atem.
Gestern vor dem Einschlafen hatte sie noch befragt, welche Dinge er mit der Magistra besprochen hatte – und hatte schroff reagiert, als er ihrer Bitte nicht nachkommen konnte. Tyark hatte ihre Reaktion verstehen können, doch was wäre die Alternative gewesen? Er konnte Zaja niemals erzählen, welche
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