WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
und enthielt Spuren von Spott. Und es war die Stimme einer Frau.
Was seine Augen erblickten, ließ ihn zusammenzucken. Flammend rote Haare, aber keine Greisin. Es brauchte nicht mehr als einen Blick in ihre Augen, um ihm zu sagen, wen er vor sich hatte. Felim war über-wältigt und brauchte seine Worte gar nicht erst zu suchen. Sie sprudel-ten wie von selbst aus seinem Mund und kündeten von Staunen, Be-wunderung und Neugierde.
„Ihr seid schön“, plapperte er. „Es ist nicht die Schönheit einer Knos-pe, die ihre erste Form gewinnt und auch nicht die der Blüten, die für einige Tage die Hänge und Täler in jene Pracht der Unschuld kleiden, die kein König, kein Hof jemals zelebrieren könnte. Nein, es ist die Schönheit und der Geruch einer reifen Frucht, die, bevor sie zerfällt, noch einmal der Welt zeigt, wozu sie fähig ist. Sie endlich hat die Subs-tanz, wo die Blüte nur ein Versprechen anbieten kann und die Knospe die Neugier erregt. Ja, Ihr seid schön.“
Die Hexe musterte Felim von oben bis unten mit einer Gründlichkeit, dass es ihm heiß und kalt wurde, ehe sie antwortete: „Mancher Mann wurde bereits für eine geringere Frechheit geköpft, aber wir Hexen sind nicht nachtragend, auch wenn die Leute es von uns glauben. Wir Hexen lieben die Wahrheit, wenn wir ihr denn jemals begegnen. Selten genug geschieht es. Und meine Schönheit, wenn sie denn besteht, ist in der Tat nicht mehr die Schönheit einer Blüte. Aber trotzdem wird sie dich von nun an begleiten, bis du ein trockener Ast bist, der unter dem ers-ten Tritt zerbricht, denn Hexen haben ein langes Leben und ein noch längeres Gedächtnis. Also lauf weg, wenn du noch etwas Verstand hast.“
Aber nichts hätte Felim jetzt von hier vertreiben können.
„Wer wollte bei diesem Anblick weglaufen? Ich habe all die Zeit nach Euch gesucht, ohne es zu wissen. Und jetzt habe ich Euch gefunden.“
„Sei vorsichtig, mein Junge. Wenn es die Wahrheit ist, hast du ein L eben voller Leidenschaft vor dir. Wenn es hingegen die Lüge in Verkleidung ist … Ach, was rede ich.“
Ich würde gern e bei Euch bleiben, Euer Haar streicheln und Euren Duft einatmen. Doch muss ich meine Träume aufschieben, bis ich einen Magier besiegt habe, von dem ich noch nicht einmal sicher bin, ob es ihn gibt.“
„Oh, es gibt ihn. Ich kann ihn bis hierhin riechen. Aber allein und ohne Hilfe wird dir das kaum gelingen.“
Felim verspürte ein Frohlocken. Er hätte nicht gedacht, dass es so leicht sein würde.
„Dafür brauchst du mehr Kraft.“
„Dann gebt mir diese Kraft.“
„Schau mir in die Augen.“
Felim schaute auf die Gestalt vor ihm, suchte ihren Blick, teilte die langen Wimpern, entdeckte die Iris hinter den halbgeschlossenen Li-dern und spürte ihre Macht.
„Zufrieden?“
„Ich habe die Kraft gesehen, aber stärker fühle ich mich nicht.“
Die Hexe lachte. „Was hast du denn erwartet? Damit du dich stärker fühlst, musst du etwas näher bei mir sein. Setz dich mir gegenüber und versuche es noch einmal.“
Er setzte sich auf den Baumstamm, sie hockte sich ihm gegenüber. Er sah in das Wolkengrau in ihren Augen, das sich aufklarte zum harten Blau des späten Morgenhimmels, weiß wurde wie der Kern der Sonne und sich wieder verdunkelte zu einem lodernden Rot. Und mit dem Rot kam die Hitze, die ihn verbrannte, ihm die Haut aufplatzen und den Mund verdorren ließ. Und als sie dann ihre Hand gegen seine presste, raste ihm die Hitze auch durch den Körper, und sein Geschlecht er -wachte, bäumte sich auf und wuchs zu einem Speer heran, mit dem er auf den Adler am Himmel zielte.
„Du bist ein hübscher Junge.“ Das Lachen der Hexe perlte über seine Haut, wie Tautropfen über Frühlingsblätter am Morgen. Er spürte die Hand der Hexe auf seinen Beinkleidern und zuckte zusammen. Ihm war immer noch heiß, und Teile seines Körpers waren auf einmal recht empfindlich geworden.
„Jetzt fühle ich die Kraft“, sagte er.
„Ein wenig davon. Ich gab dir den Zehnten. Nicht mehr als eine kleine Steuer. Wie sollte es auch mehr sein, wo sich doch nur unsere Hände trafen. Doch musst du noch wachsen, bis du in der Lage bist, meine Umarmungen zu überleben. Bub, dummer, der du noch bist. Aber mehr a ls das und eine Waffe bekommst du nicht von mir. Geh und schneide dir einen Ast der Haselnuss. Und pass auf, dass der Ast gerade ist.“
Felim tat, wie ihm geboten. Es dauerte seine Zeit, denn sein Messer hatte die nötige Schärfe schon lange verloren. Die Hexe
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