WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
fein säuberlich Mund und Kinn einrahmte. Vanna stellte sich vor, wie Alessios armer Barbier Tag um Tag dessen hohen An-sprüchen gerecht werden musste. Das Erscheinungsbild des Grafen erinnerte Vanna an einen Adler und seine ernsten Augen sahen nicht danach aus, als würde er es bei dieser Unterredung belassen.
Alessio von Bruchstein stand auf. „Majestät! Die Trochäer stehen vor den Mauern von Bruchstein, vor unseren Mauern! Im Grenzland herrscht Krieg! Die Bauern verlassen ihre Höfe und bitten um Euren Schutz! Die trochäischen Offiziere ermutigen ihre Soldaten nicht bloß zu Plünderungen, nein, die Frauen werden als kostenlose Kurtisanen gehandelt, Alte, Männer und Kinder erschlagen und verbrannt! Bei Orhalm, sogar die Kinder!“
„Die Verluste des Krieges sind immer bedauerlich“, sagte der Kleriker. „Die Trochäer sind fleischgewordene Dämonen, fürwahr, aber die Mauern von Bruchstein gelten seit Angebinn des Großkönigreichs als unüberwindbar.“
„Dann sagt mir, wie lange hält eine Festung ohne Vorräte? Die Kauf -mannsgilde reduziert den Warenverkehr seit zwei Sonnenumläufen! Ausgerechnet jetzt! Ihr wisst sicher, was die Menschen im Großen Hafen von Tien reden. Der Schwarze Tod .“
Vanna spürte, wie die Stimmung im Saal umschlug, wenn das über -haupt noch möglich war. Die Adeligen flüchteten sich in allerlei Ver-legenheitsgesten. Ein Räuspern hier, ein Nasereiben dort. Aber die Kutsche des Todes würde eines Tages auch vor ihren Mauern Halt machen.
„ Die Schifffahrer und Händler haben Angst“, fuhr Alessio fort, „sie fahren lieber nicht, als dass sie Schuld sind, ihn mitgebracht zu haben. Was werdet Ihr dagegen tun, Euer Hoheit?“
Fürst Dornfahl fühlte sich immer noch nicht angesprochen.
„Ich sage Euch, was Ihre Exzellenz gedenkt, zu tun.“ Der Kleriker zeigte in die dunkle Ecke, die Vanna zuvor schon ein Stechen in der Magengrube verursacht hatte. Eine seltsam gekleidete Gestalt trat aus den Schatten. Sie ragte wie ein dürrer Mast auf, nur dass ihre Roben die Farben von Oliven hatten. Eine weiße, vogelähnliche Maske mit Schnabel ragte aus dem Gesicht. Da die Gestalt ebenfalls Handschuhe und Hut trug, fehlte jeglicher Hinweis auf Alter und Geschlecht. Die Person, auch wenn es vermutlich ein Mann war, sah so unnatürlich wie ein missgestaltetes Wesen aus, das einfach nicht in die Adelsgesellschaft passte.
„Ein Pestarzt“, erklärte der Kleriker. „Wenn deine Zweifel, mein lieber Alessio, noch nicht gänzlich ausgeräumt sind, dann rate ich dir Eines: Bete um die Vergebung deiner Sünden und Orhalm wird dein Leben verschonen.“
„Das ist lächerlich! Diese Figur gehört doch zu diesem Gauklerweib!“ Nicht beleidigend werden, dachte Vanna. Aber Alessio verlor jegliche hö-fische Contenance.
Plötzlich regte sich Etwas auf dem Thron. Fürst Dornfahl hatte die Diskussion wohl aufmerksamer mitverfolgt, als gedacht. Seine Mund -winkel verzogen sich auf die bekannte, verächtliche Weise ins Boden-lose. Und er schüttelte, Alessio fest im Blick, den Kopf, wobei die grauen Zöpfe seiner geflochtenen Haare gegen die Thronlehnen bau-melten.
Sofort stürmten zwei Gardisten klappernden Schrittes auf Alessio zu und drückten ihn auf den Boden. Alessio wusste nicht, wie ihm ge -schah, fassungslos wehrte er sich unter Berufung auf seinen Stand, aber der Gardist drückte den Grafen einfach nach unten, während der zweite Gardist seine Hellebarde hob. Im Kerzenschein der Kronleuchter leuchtete die Klinge auf. Ein Schrei. Und Alessios Kopf rollte über den polierten Marmor.
Den Damen der Gesellschaft blieb die Empörung im Halse stecken. Der Prinz hingegen, dem Geräusch nach zu urteilen, übergab sich aus vollster Kehle. Vanna selbst wandte sich ab. Selten war ihr an einem Abend so oft übel geworden. Von Diplomatie verstand der Herr Markgraf jedenfalls nicht besonders viel , dachte sie.
Die Tatsache, dass ein Kopfschütteln Dornfahls solche Folgen haben konnte, schürte in ihr allerdings ein Feuer der Besorgnis. Der Fürst war ein Mann schneller Taten, dessen waren alle Anwesenden soeben Zeu -ge geworden. Der Kanzler winkte bereits Diener herbei, welche die Sauerei aufwischten. Das passiert wohl des Öfteren. Aber eigentlich sollte ich das als Anreiz betrachten, meine Aufgabe nach bestem Gewissen zu erfüllen. Vanna schaute auf und erschrak gleich ein zweites Mal.
Das erste Mal an diesem Abend lächelte Dornfahl. Er lächelte Vanna an und es wirkte aufrichtig,
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