WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
einfach kein Ende, in welche Richtung ich mich auch wandte. Die Vo rstellung einer Nacht allein im Wald machte mir Angst, ja, inzwischen war ich so verzweifelt, dass ich am liebsten den Tränen des Himmels meine eigenen hinzugefügt hätte. Doch was würde das nützen?! Was sollte ich jetzt tun? Mich auf einen Baumstumpf setzen und warten? Auf ein sinnloses Ende im Wald?
„Steffi!“, schalt ich mich laut und streng. „Nimm dich zusammen und denk nach! Dann findest du hier auch raus!“
Das half. Laut und trotzig begann ich zu singen, irgendwas, das mich aufmunterte. Mein Verstand, der von Furcht umnebelt gewesen war, begann wieder zu arbeiten. Wahrscheinlich lief ich schon seit Stunden im Kreis. Ich würde also die Bäume markieren müssen, um mich besser orientieren zu können. Kurz entschlossen ging ich auf eine große Tanne zu und schälte mit meinem Taschenmesser ein kleines Stück von der dunklen Rinde ab. Es tat mir leid, den Baum verletzen zu müssen. Ich sah die Wunde hell im Dunkeln leuchten. Da erfasste mein Auge noch etwas anderes Helles, das durch die Bäume schimmerte. Noch bevor mein Verstand sich fragen konnte, was das war, nahm mein empfindendes Selbst Hilfeschreie wahr, die immer lauter in meinem Innern widerhallten, schmerzhaft an mir zerrten. Automatisch richtete sich mein Blick auf das, was dort durch das Unterholz schwamm, ein Wesen wie aus Mondlicht und Milch, das mit der Geschwindigkeit eines Gedankens an mir vorüberstürmte.
„ Hilf mir!“, gellte es in meinem Kopf und mein Herz schlug wild wie ein gefangener Vogel. Ich zitterte als würde ein Orkan mich schütteln, und blickte dem Wesen nach. Es schlug einen eleganten Bogen und lief dann zu mir, blieb zutraulich bei mir stehen. Sein Körper war der eines Pferdes, allerdings schlanker und kleiner, und er schien aus sich heraus zu leuchten. Seine Stirn war mit einem langen Horn geschmückt, doch ich fühlte mich nicht bedroht. Fasziniert betrachtete ich das Einhorn, konnte mich an seiner Schönheit nicht satt sehen, spürte ein Glücks-empfinden, das mir die Brust zu bersten drohte. Es stupste mich mit der Schnauze, senkte seinen Blick in meinen und in meinem Geist sprach es zu mir: „Rette mich. Die Schattenwölfe sind mir auf der Spur! Nur alle hundert Jahre ist es ihnen erlaubt zu jagen und einmal dürfen sie töten in dieser Nacht!“
„Wie…“, wollte ich fragen, doch blieb mir keine Zeit mehr zum Nac hdenken. Sie kamen, schleichende Schatten, dreifacher Tod, Schemen mit glühenden Augen in der Finsternis. Mein Körper handelte entgegen meinem Instinkt. Schützend stellte ich mich vor das Einhorn, schirmte es mit meinem Leib, hielt es immer hinter mir.
„Geh aus dem Weg, Mensch!“, knurrte der erste Wolf. Ich konnte ihn in meinem Innern hören und ich erbebte vor Schrecken, doch ich gab meinen Posten nicht auf.
„Geht fort, zurück in die finsteren Abgründe, aus denen ihr gekom-men seid!“
Zur Antwort fletschte der Leitwolf drohend die gelb schimmernden Zähne, die lang und schrecklich spitz aussahen. Seine Gefährten taten es ihm nach.
Während unseres Gespräches waren sie Schritt für Schritt näher ge-schlichen, versuchten an mir vorbeizukommen. Aasgeruch und die Kälte des Todes waren ihre Begleiter. Die Schatten hinter dem Leitwolf schnappten drohend nach mir und funkelten mich böse an.
„So töten wir dich!“, grollte der Alphawolf und setzte zum Sprung an. Ich wich nicht aus. Drei Wölfe stürzten sich auf mich, warfen mich um wie die Druckwelle einer Explosion. Ihre Schnauzen gruben sich in das Innere meines Bauches, stießen so leicht vor, als wäre ich ein Geist. Sie begannen Fetzen aus meiner Seele zu reißen, zerrten an mir und knurr -ten einander böse an.
Ich fühlte keine Furcht vor dem Tod, auch kaum Schmerz, nur eine seltsame heitere Leichtigkeit, Zufriedenheit damit, dass mein Tod einen Sinn hatte. Ich würde dieses wunderbare Geschöpf hinter mir retten. Mein letzter Blick galt dem Einhorn, bevor ich in samtener Dunkelheit versank.
Als ich auf dem Waldboden liegend wieder zu mir kam, stand das Einhorn über mir und seine Tränen tropften auf meinen geschundenen Leib wie feuchter Tau. Mir war wohl und warm. Der Himmel über mir färbte sich graurosa. Ein neuer Tag begann.
„Danke!“, sprach das Einhorn. „Du hast dich für mich geopfert.“
„Wieso bin ich noch am Leben?“, fragte ich.
„Meine Tränen erwecken den Funken des Lebens erneut.“
„So danke ich dir. Wie konnte ich dich
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