WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
sie schweigend, während die Nacht um sie herum immer dichter wurde. Im Lager kehrte langsam Ruhe ein, denn man konnte kaum noch weiter als ein paar Fuß sehen. Der Rauch unzähliger Feuer schwängerte die Luft. Es roch nach schwer erkaufter Sicherheit.
„Doch die Verräter hatten die vier Brüder unterschätzt. Sie gaben ihren Anspruch auf den Thron nicht auf, sondern sammelten sich zum Widerstand. Dann bewiesen sie, jeder für sich die Stärke ihrer jeweiligen Passion. Der dritte Sohn, den ein jeder mochte und der mit allen Men-schen auf gutem Fuß stand, rief das Volk zu den Waffen, um die Usur-patoren zu verjagen. Der Gelehrte nutzte sein Wissen über Strategie und Taktik, um die so entstandene Armee zu leiten, der Krieger hin-gegen führte die Soldaten persönlich in den Kampf. Und dies alles geschah unter Anleitung des jüngsten der vier Brüder, der so zu ihrem Anführer wurde. Nach einem blutigen Kampf wurden die Verräter ent-machtet und der Thron wieder den rechtmäßigen Erben übergeben. Nun zweifelte niemand mehr an der Fähigkeit der Prinzen und es war der jüngste von ihnen, an den die Königskrone schließlich ging. Frieden kehrte wieder im Land ein und die Brüder waren glücklich, denn jeder hatte seinen Platz gefunden. Der Jüngste trug die Bürde der Regent-schaft und er tat es gut. Der Drittgeborene heiratete die Tochter von einem der Verräter und schloss die entstandene Kluft. Der Zweitge-borene übernahm die Leitung der Bibliotheken.
Nur der Erstgeborene, der Krieger. Für ihn gab es keine Erfüllung, keinen Frieden. Ihn dürstete es danach wieder zu kämpfen, denn nichts anderes vermochte ihn wirklich mit Freude zu erfüllen. Und er neidete seinen Brüdern ihr unverdientes Glück, war er es doch gewesen, der unzählige Feinde mit eigenen Händen erschlagen hatte, dem von rechts wegen der Thron zustand. Jahre vergingen, in denen seine Verbitterung und sein Hass immer mehr zunahmen, er wurde blind für alles um ihn herum. Und eines düsteren Tages griff er erneut zum Schwert. Er er-schlug seine drei Brüder im Blutwahn und stürzte das ganze Reich in ein finsteres Chaos. Mit diesem Tag endete ein goldenes Zeitalter und nie wieder erlebten die Menschen eine ähnlich friedliche und großartige Ära.“
Stille folgte diesen Worten, so tief und drückend wie der Grund eines schwarzen Sees, oder wie die Seele eines Verräters. Stille, nur gefüllt von stummen Gedanken an eine bessere Zeit. Eine Zeit ohne Krieg, eine Zeit, in der es Platz gab für so etwas wie Gärten aus Glas.
Ralek räusperte sich. „Eine gute Geschichte.“
„Das ist sie, in der Tat “, brummte jemand. „Wenn auch keine schöne. Was ist mit dem erstgeborenen Sohn eigentlich danach geschehen?“
„Meine Mutter hat immer gesagt, er sei wohl geflohen. Vor sich selbst davongelaufen. Und angeblich streift er immer noch irgendwo durch die Lande, von einer Schlacht zur nächsten.“
„So kenne ich es auch“, pflichtete ihm die raue Stimme bei. „Er ist wie der Söldner, über den wir sprachen.“
„Jemand sein, der nur für den Krieg lebt? Grausames Schicksal.“ Ein Mann, der für einen Soldaten ein wenig zu viel Leibesfülle besaß, schüt -telte sich unmerklich. „Wieso? Kampfeslust ist eine der vier Dinge für die ein Mann überhaupt lebt. Neben Wissensdurst, dem Pflichtbewusst-sein und der Liebe. Was gibt es denn schon anderes, das uns antreibt? Wozu sonst sind wir hier?“ Der Sprecher breitete die Arme aus, als wollte er nicht nur die verrauchte Feuerstelle umfassen oder das Lager auf dem Hügel eines Schlachtfeldes, sondern auch alles drum herum, jeden Ort dieser Welt.
„Darum geht es doch eigentlich in der Geschichte. Die vier Söhne st ehen für jeweils einen Weg, den wir einschlagen können. Und jeder von uns trifft diese Wahl, ob er es merkt oder nicht.“
Und erneut entbrannte ein hitziges Gespräch, darüber, welche Wahl wohl die beste sei. Nur Ralek beteiligte sich nicht daran, er dachte erst lange über die Worte nach, die er gehört hatte. „Ich glaube nicht, dass es so einfach ist“, verkündete er schließlich, als alle anderen zur Ruhe gekommen waren. „Ich meine, geht es im Leben wirklich nur um eine Sache? Seht euch doch die vier Brüder an. Keiner von ihnen hätte allein irgendwas erreicht. Wer nur für eines lebt, verliert alles andere aus den Augen. Wäre jeder von ihnen ein wenig offener gewesen, hätten sie einander besser verstanden, dann wäre es nie zu diesem Ende gekom-men.“
Dem
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