WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Geschichten hier im Flachland beheimatet waren.
Die a nderen sahen sich an, als würden sie abwägen, wer am besten geeignet war so etwas zu erzählen. Schließlich meldete sich jemand zu Wort, der selbst noch recht jung war, strohblonde Strähnen hingen ihm vor das schmale Gesicht, auf dem ein verlegenes Lächeln lag. „Meine ... meine Mutter hat sie mir früher gerne erzählt.“ Fast fordernd blickte er in die Runde, als warte er nur darauf verspottet zu werden, doch niemand sagte etwas, nur stumme Blicke lagen in den Augen der anderen.
So fuhr er fort. „Es ist die Geschichte von vier Königssöhnen.“
Während er sprach sah er erst zu Ralek und dann in das Feuer. „Ihr Vater war ein starker und mächtiger Herrscher, so tugendhaft wie ein König nur sein kann. Der beste König, den je ein Land gehabt hat. Er nahm die Pflicht des Regierens sehr ernst, kümmerte sich um alle Probleme, auch die der armen Leute und die der Soldaten. Er war stark und wenn sein Reich bedroht wurde, griff er zum Schwert und zog selbst hinaus, um es zu verteidigen. Dann führte er seine Armee persönlich in die Schlacht, blutete und tötete wie sie. Weise soll er gewesen sein, gebildet wie die ältesten Gelehrten. Die Bibliothek in seinem Palast war angeblich so groß, wie eine kleine Stadt. Die Menschen, die dort arbeiteten, mussten sich Häuser zwischen den Regalen bauen, weil man manchmal mehr Stunden brauchte als der Tag überhaupt hatte, um dort wieder hinauszufinden. Und seine Königin ... Schön, wie der junge Morgen. Es heißt, er habe diese Frau abgöttisch geliebt, sei ihr ein Leben lang treu gewesen und habe ihr zuliebe, sogar die Gärten aus Glas erbauen lassen. So überwältigend und schön, dass mancher Besucher der kristallinen Pracht fast den Verstand verloren hätte.“
„Ich wusste gar nicht, dass die gläsernen Gärten in der Geschichte vor -kommen“, warf jemand überrascht ein.
„Natürlich tun s ie das“, erwiderte jemand brüsk. „Genauso wie die Schlacht am eisernen Weg und die Bibliotheken der tausend Meilen.“
„Aber das sind doch alles Märchen! Die gläsernen Gärten, das ist eine Geschichte für Kinder.“
„Ist es nicht“, diese Worte kamen ganz ruhig und so bestimmt, dass die anderen aufhörten zu streiten.
Der Mann mit der rauen Stimme zog ein Amulett aus seinem Wams und schlu g es auf. „Ich bin dort gewesen“, sagte er leise. „Wo sie einst gelegen haben sollen. Und dies habe ich gefunden.“
Langsam und ehrfürchtig ließen die Soldaten das Amulett herum gehen, bis es auch bei Ralek ankam. In einem Polster aus dickem Stoff lag eine einzelne halbe Rosenblüte. Sie war durchscheinend wie feinster Nebel und doch nicht farblos, denn der Feuerschein allein genügte, um sie in hundert Nuancen von rot und orange leuchten zu lassen.
Als Ralek mit dem Finger darüber strich, bogen sich die hauchzarten Blütenblätter unter seinen Fingern, wie die einer echten Rose.
„Das ist nur eine gute Fälschung“, beharrte ein hartnäckiger Zweifler. „Oder glaubst du etwa auch an die gläsernen Vögel, die im Wind geflogen sind und Lieder spielten?“ Er lachte, doch nur wenige stimmten mit ein. Das Amulett wurde seinem Besitzer zurückgegeben, der es wortlos zuklappte und wieder einsteckte.
Ein wenig aus dem Konzept gebracht, beschloss der junge Erzähler fortzufahren. „Nun. Dem König wurden von seiner Frau vier starke und gesunde Söhne geschenkt und das ganze Land freute sich mit dem königlichen Paar, denn jetzt würde die Herrschaftslinie gesichert sein. Man hoffte nur, dass einer der Söhne es dem alten König nachtun und ein ähnlich guter Herrscher werden würde. Doch die Götter trieben ein grausames Spiel. Jeder der Söhne besaß eine der Tugenden seines Vaters, keiner von ihnen jedoch alle zusammen. Der Erstgeborene war ein großer Krieger, der zweite wissenshungrig. Der dritte Sohn sanftmütig und voller Liebe und der vierte war pflichtbewusst, sowie bereit Verantwortung zu übernehmen. Der König wurde alt und mit jedem vergehenden Jahr wuchsen die Zweifel, ob denn einer seiner Söhne allein geeignet sein würde, das Erbe anzutreten. Als der Herrscher schließlich starb, verbündeten sich die Mächtigen des Reiches, denn der sagenumwobene Schatz des Königs hatte schon lange ihre Gier erregt. Sie stahlen den Thron und schickten die vier jungen Prinzen in die Verbannung.“
An dieser Stelle holte jemand einen Kanten Brot hervor und teilte ihn mit den anderen. Eine Weile kauten
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