WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
verbrachte, geißelte ich mich mit einem Jahr voller Blut und voller Tränen. Blut und Tränen, Schmerz und Trauer – die Begleiter meines Lebens … Langsam hänge ich das Gemälde des namenlosen Künstlers zurück an seinen Platz und schreite die Stufen des Podests empor. Es reicht mir bis zur Hüfte und von diesem gehobenen Punkt aus kann ich sie alle betrachten. All die Momente aus meinem Leben. All das Blut, all die Tränen.
Zwei Dinge gehen durch meinen Kopf als ich sie mir umlege…
Es sind zwei Wahrheiten. Eine über Nasthíel und eine über Bilder.
Was mir bewusst wird, ist, dass alle Nasthíel erbarmungslos sind. Sie sind erbarmungslos in der Vollstreckung ihres Urteils – mag es ein Urteil über ihre Feinde sein oder ein Urteil über sich selbst. Die Urteile selbst mögen bei jedem Nasthíel verschieden ausfallen, doch gefällte Schlüsse verfolgen sie alle mit unendlicher Härte und Entschlossenheit. Ich selbst sehe mich nicht als Nasthíel. Ich bin eine Ethíel, eine Elfenmaid. War ich dies doch stets gewesen, in all den Augenblicken, Sekunden, Minuten und Stunden, die mein Leben maßen. Doch meine Natur kann ich nicht bezwingen. Während den Jahren meiner Qual sehnte ich mich nach dem Tod, sah ihn als Verlockung, der ich mich zur Gänze hingeben wollte. Doch meine Natur verlangt es meine Strafe zu ertragen. Vierundzwanzig Jahre voller Blut und voller Tränen.
Ich schreite vor bis zum Rand …
Die zweite Wahrheit ist eine Wahrheit über Bilder. Sie ist mir bewusst geworden, als ich das Gemälde von Markûn und mir betrachtete. Viele denken, dass Bilder Erinnerungen wecken. Doch das stimmt nicht.
Nicht für mich. Denn ich bewahre die Erinnerung an Markûn und diesen Tag immer in meinem Herzen. Ich werde nie vergessen und ich brauche keine Bilder, um mich zu erinnern. Was mir bewusst wird, ist, dass Bilder Begebenheiten einfangen. Momente und Augenblicke, die wirklich stattfanden. Doch vermitteln tun sie diese Momente nicht. Sie vermitteln Emotionen. Wenn ich meine Sammlung betrachte, fühle ich Sehnsucht. Ich fühle Trauer. Mein Gefühl ist nicht dasselbe wie an diesem Tag. Ich fühle kein Glück mehr. Wie auch? Mein Leben ist vorbei. Doch jedes von diesen Bildern weckt Emotionen in mir.
Es wird Zeit …
Die Schlinge ruht schwer auf meinen Schultern und mein Blick fällt auf das Portrait von Markûn und mir. Ich sehe es und es weckt keine Erin -nerung. Es weckt keine Gefühle an Glück.
Ich trete vor und falle …
Ich wende den Blick nicht ab. Es weckt Schuld – unendliche, für immer andauernde Schuld.
Die Schlinge zieht sich zu …
Es weckt Trauer, alles umfassende Seelenqual.
Ich bekomme keine Luft …
Es weckt Schmerz, alles verzehrende Agonie.
Ich fühle den Tod …
Aber vor allem weckt es Liebe. Es war Liebe, daran habe ich plötzlich keine Zweifel mehr. Liebe so tief, unendlich, allumfassend …
Eine einzelne blutige Träne läuft meine Wange herab und zerschellt auf dem schwarzen Holz des Bodens. Im gleichen Moment kommt Wind auf. Sanft bauscht er den schwarzen Satin auf, der meinen Leib bedeckt und bringt meinen leblosen Körper ins Schwingen. Meine Seele hat er bereits davon getragen, mein Leben jedoch nicht, denn dieses ist mit Markûn gestorben …
Emilio
und die menschgewordene
Praktikantin
Wolfgang Groth
Emilio ist sich sicher, dass mit dieser Edana etwas nicht stimmt. Und er weiß auch, warum das außer ihm noch niemand bemerkt hat: Sie ve rmag es, die Menschen zu beeinflussen. Nicht durch ihre freundliche und einschmeichelnde Art; nein – durch Hypnose und Telepathie, wenn nicht gar Hexerei! Da sich unser jugendlicher Held zu alt für Märchen wähnt, dessen ungeachtet aber ein Liebhaber der Science-Fiction ist, hat er für derlei Fähigkeiten nur eine Erklärung: Es muss sich um eine Außerirdische handeln. Ein Alien, das in Gestalt eines 14jährigen Mädchens die 8. Klasse des städtischen Gymnasiums be-sucht. Warum, das wird zu klären sein.
Heute wird in der letzten Schulstunde die Rolle Martin Luthers wäh -rend der Bauernaufstände hinterfragt.
Edana meint, dass dem Reformator seine Theologie mehr am Herzen gelegen hätte als die Not der Menschen.
Als der Lehrer das in Frage stellt, entgegnet sie keck, er solle sich doch einmal die Porträts des vollgefressenen Reformators anschauen.
Emilio ist beeindruckt. Wenn es um
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