WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Körper, nur verhüllt durch einen Hauch schwarzen Satins, und in eine unheimliche Farbe zu tauchen scheint. Ich habe mein Ziel erreicht und strecke die Hand nach dem goldenen Türknauf aus. Ich drehe ihn langsam und vorsichtig, bedacht darauf, keinen Laut zu verursachen, welcher die Stille dieser Nacht stören könnte und den wohl doch niemand hören würde.
Ich schreite über die Schwelle und schließe die Tür. Ich bin umgeben von Bildern. Es sind Gemälde aller Größen und unterschiedlichster Motive. Doch ich spreche nicht von Kunst, denn dies hier ist wahrlich keine Kunst. Jedes dieser Bilder zeigt einen Moment aus meinem L eben. Heute möchte ich ein ganz bestimmtes Gemälde noch einmal erblicken. Es fällt mir nicht schwer mich daran zu erinnern, wo es sich befindet, nicht bei diesem Werk. Ich finde es da, wo es immer hängt, doch verspüre ich heute den Drang es in Händen zu halten. Ich nehme das gerahmte Gemälde von der Wand und halte es vor mich. Es ist das einzige Bild, welches ich nicht selbst geschaffen habe, das einzige, das nicht mit Blut gemalt wurde, das einzige, über das mir niemals jemand Komplimente machen würde – als würde ich es jemals einem anderen Nasthíel zeigen! – und doch das wertvollste und schönste, das ich be-sitze.
Das Bild zeigt einen Mann mit kurzem, schwarzem Haar und Augen mit grüner Iris. Und es zeigt mich. Meine Augen sind blau und mein Haar ist blond und lang, wie das Haar vieler Ethíel. Doch was viel übe rraschender ist, das Bild zeigt mein Lächeln. Und nicht das Lächeln, welches ich in meiner Ausbildung gelernt habe zu zeigen, sondern mein echtes Lächeln. Mein Strahlen, welches ich schon in Kindheitstagen verloren glaubte, als meine Ausbildung mich zwang meinem Bruder das Herz zu nehmen und seinem Tod ins Antlitz zu lächeln. Es fällt mir schwer zu glauben, dass mein Leben, welches doch so viele Jahrzehnte maß, eigentlich nur einen einzigen Tag lang währte. Doch es ist die Wahrheit. Dieser Tag war mein Märchen und ich denke oft daran zurück:
Es war einmal eine wunderschöne Ethíel, die im reinsten Schein der Sonne an einem Brunnen saß und ins Wasser blickte. Ihr Spiegelbild starrte zurück und doch erschien es ihr nicht wie ihr Spiegelbild. Es erschien ihr wie das Bild einer leblosen Fremden. Doch was erwartete sie? War sie doch keinen Moment ihres Lebens sie selbst gewesen. „Ach du holde Elfenmaid, mein Herz erfüllst du mit Trauer!“, tönte plötzlich eine Stimme in ihrem Rücken.
Verdutzt drehte Narîssa sich um und starrte den Mann an, der diese Worte an sie gerichtet hatte. Sein Haar war schwarz, seine Augen waren grün, wie auch das Gewand, das er trug, und seine Stimme war ebenso tief wie melodisch. Er sah nicht sehr muskulös aus und war gewiss kein Schwertkämpfer, wie seine Haltung verriet. Dennoch schien er vor Selbstvertrauen nur so zu strotzen und dies missfiel ihr. So entschied sie sarkastisch zu fragen: „Ach, du holder Elfenherr, der du meine Nerven strapazierst, wieso erfülle ich dein Herz mit Trauer?“
Überraschenderweise brachte ihn diese Antwort nicht aus der Ruhe und er entgegnete sofort: „Seht Euer Spiegelbild an, Elfenmaid. Ihr seid Vollkommenheit. Lippen, wie die Farbe meines Blutes. Augen, wie das Blau eines wolkenlosen Himmels. Eine Haut, so weiß wie Schnee und Euer Haar scheint aus Strahlen der Sommersonne gesponnen. Euer Gesicht ist perfekt an Symmetrie und an Eurem Körper ist ebenfalls nicht der kleinste Makel zu erkennen. Ihr seid ein Symbol für Schönheit und dennoch seid Ihr nicht vollkommen. Aufgrund Eurer Trauer.“
„Und was bringt Euch dazu anzunehmen, dass Trauer kein vollkomme -nes Gefühl darstellt?“, fragte ich verdutzt darüber, dass er meine Ge-fühle so leicht durchschauen konnte.
„Naja. Denkt an das Leben und wie man es betrachten kann. Für ma nche, so scheint es, ist es der Sinn des Lebens mit Schwert, Bogen und Magie gegen das Böse zu ziehen. Manch anderer sieht das Leben nur als Zeit, die es zu überbrücken gilt, bis man das wahre Leben im Reich der Göttin beginnt. Andere wiederum denken, das Wichtigste wäre die Liebe. Was auch immer es bei Euch sein mag, all diese Wünsche verbindet das Streben nach Glück. Der Gläubige findet sein Glück darin seiner Göttin gefällig zu sein. Der Krieger bezieht sein Glücksgefühl aus gewonnenen Schlachten, besiegten Feinden und geretteten Leben. Der Liebende findet das höchste Glück in der Erwiderung seiner Gefühle. Trotz ihrer
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