WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Einbauküche ist mit einer Ar-beitsplatte aus rotem Granit bestückt. So schön hat es Emilio zu Hause nicht.
„Ich mache Spaghetti mit Tomatensoße und Bohnensalat. Ist das o.k. für dich?“
Emilio erstaunt es zu sehen, wie geschickt Edana in der Küche fungiert. Einem Alien hätte er das nicht zugetraut.
Als sie sich gegenübersitzen, versucht er der angespannten Atmosphäre mit Höflichkeit zu begegnen: „Also, meine Mutter hätte das auch nicht viel besser hingekriegt. Wie hast du den Bohnensalat gemacht? Der schmeckt ja wirklich lecker.“
„Die Bohnen sind aus der Dose, die Sahne ist Bio, und gewürzt habe ich ihn mit Salz und Pfeffer. Frisch gemahlenen Pfeffer, versteht sich.“
„Aha“, gibt sich Emilio bewandert. Ihm wird bewusst, dass diese Edana auch alle anderen Hausarbeiten verrichten muss. Oder hält sie sich einen Roboter? Wie dem auch sei – jetzt hat eine andere Frage Prio-rität: „Wer oder was bist du? Ich muss es wissen.“
„Wenn ich dir das sage“, lächelt Edana schnippisch, „wirst du es mir doch nicht glauben.“ Sie atmet tief durch. „Also gut: Ich bin die Toch-ter eines Schwarzalbs und einer Lichtelfe. Meine Königin hat mich zu euch auf die Erde geschickt, um, sozusagen, ein einjähriges Praktikum zu absolvieren.“
Emilio versucht cool zu bleiben und schlürft erst einmal die letzte N udel von der Gabel. Um auf diese irre Beichte die passende Antwort zu finden, muss er seinen ganzen Verstand bemühen: „So einen Blödsinn habe ich ja noch nie gehört. Tochter eines Schwarzalbs und einer Lichtelfe? Wenn du mir gesagt hättest, dass du eine Mutantin wärst, deren Mutter in Tschernobyl verstrahlt wurde, oder das Produkt ver-botener Genversuche, das aus dem Labor entwichen ist, oder eine Verrückte, die ihre Eltern ermordet und im Keller vergraben hat – das würde ich dir eher glauben können.“
„Ach ja? Ihr Menschen seid schon komisch. Im Sommer werde ich mich übrigens in Luft auflösen und zurück in das märchenhafte Zwi -schenreich düsen. Dann bist du mich los.“
Emilio fühlt sich veralbert. „Das märchenhafte Zwischenreich? Was soll das denn sein?“
„Es ist das Land, das zwischen euren Gedanken und euren Träumen liegt. Dort türmen sich die drei dunklen Wolken der Weisheit auf. Ihr Menschen müsstet sie ja kennen: Wir sind allein. Wir haben Angst. Wir suchen Trost.“
Emilio erschauert. Ist er einer ausgeflippten Esoterik-Tante aufgeses-sen? Aber damit wäre nichts erklärt. „Und in diesem märchenhaften Zwischenreich hausen beispielsweise auch die bösen Schwarzalben, zu denen dein Vater gehört?“
Die Albentochter schweigt.
„Edana! Nenne mir einen Grund, weshalb ich dir diesen Blödsinn glauben sollte“, strengt sich Emilio an.
„Nun, eigentlich solltest du glauben, dass meine Mutter als Teilzeitkraft bei den Stadtwerken beschäftigt ist, mein Vater als Entwicklungshelfer in Afrika arbeitet und mein Bruder in einem Internat für Hochbegabte sein Dasein fristet. Das habe ich jedenfalls meinen Nachbarn und den Behörden eingegeben. Bei dir funktioniert das aber nicht. Du musst eine besondere Begabung besitzen, Emilio. Verstehst du? Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll. Da werde ich mir wohl etwas einfallen lassen müssen. Hast du am Samstag Zeit? Dann komm zum Mittagessen. Übrigens wartet noch der Abwasch auf uns.“
Ganz egal, ob Edana nun eine Schwarzelfe, eine Verrückte oder doch eine Außerirdische ist: Emilio ist bereit, zur Aufklärung dieses Rätsels auf den samstäglichen Eintopf seiner Mutter zu verzichten. Auch wenn die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich am Ende – unter Umständen zu spät – herausstellen könnte, dass es ver -nünftiger gewesen wäre, die Polizei einzuschalten.
In dieser Woche muss Emilio ständig an Edana denken.
Eine Sache beschäftigt ihn besonders: Für gewöhnlich hat jede Clique ihre speziellen Methoden, um das niederzumachen, was von der Norm abweicht. Da wird gelästert, gehänselt, gedroht und gemoppt was das Zeug hält. Und niemand wird verschont. Das konnte er in der Schule lernen, auch wenn es auf keinem Lehrplan steht. Edanas Anders-artigkeit aber wird von ihren Mitschülern gar nicht wahrgenommen. Als würde ein Rudel hungriger Wölfe nicht bemerken, das vor ihren sab-bernden Mäulern ein Rehkitz im Grase liegt. Über welche Macht ver-fügt diese Edana? Existiert das märchenhafte Zwischenreich tatsäch-lich?
Endlich ist es soweit. Samstag, 12.30
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