WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Bedürfnis hatten nach einer erfolgreichen Landung überschwänglich zu klatschen: aus purer Freude darüber, dass sie noch am Leben waren! Zu solch drastischen Mitteln wollte ich nicht unbedingt greifen. Mir genügte es, im Stillen ein Stoßgebet gen Himmel zu richten, was für meine Verhältnisse schon wunderlich genug war, denn ich hatte zum Big Boss eigentlich keinen so guten Draht.
Der Flughafen Marco Polo war überschaubar und wir folgten dem Strom ins Freie. Ich war überrascht, hier so viele Autos und sogar Busse zu sehen. Eine eigene Gondel brachte uns über den Canal Grande ins Stadtzentrum San Marco . Im gemächlichen Tempo glitten wir an zahl-reichen hübschen und weniger hübschen Häuserfassaden vorbei, erhaschten Einblicke auf Palazzi und deren Gärten und eher tristen Seitenkanälen. Und überall sah man kostümierte Einheimische und karnevalverrückte Touristen.
Wir waren noch nicht ganz an der Anlegestelle Bacino Orseolo ange-kommen, da kündigte unser Gondoliere schon lautstark seine Dienste an, indem er immer wieder Gondola! Gondola! rief. Noch mit Aussteigen beschäftigt, nahmen wir den kleinen, in der Menge der Passanten versteckten Mann gar nicht wahr, der auf unsere Ankunft gewartet hatte.
„ Signore, Signorina, benvenuti a Venezia ! Bleiben Sie dicht bei mir!“, be-grüßte er uns und huschte auch schon voran.
Sogleich ergriff ich Josephines Hand und nahm die Verfolgung auf.
Er führte uns auf die Piazza San Marco , der dem diesjährigen Motto Vivi I Colori – Lebe die Farben alle Ehre machte. Wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein Kostüm fantastischer als das andere! Weite, ausladende Kleider, verziert mit Perlen, Brokat, Tüll, Rüsch, Federn, Ketten … einfach allem, was dem Zweck der Einmaligkeit und Schön-heit diente. Einfarbig, zweifarbig, mit und ohne Korsett oder Schleppe. Masken, nur für die Augen zum Umbinden oder zum in der Hand halten, für das halbe oder das ganze Gesicht, einfach aufgemalt oder mit fließendem Übergang zu noch prunkvolleren Kopfbedeckungen. Fächer, Täschchen, Schirme … in allen Variationen und Größen. Die Kostüme der Männer standen denen der Frauen in nichts nach.
Ob Männer mit langen Schnabelmasken und Stöcken, düstere Gestal -ten wie Teufel und Dämonen, Harlekine, Angler oder Jäger, es gab hier nichts, das es nicht gab! Josephine wäre am liebsten alle paar Meter stehen geblieben, um sich alles genau anzusehen.
„Komm“, drängelte ich und zog sie weiter, „dafür haben wir morgen noch Zeit. Sonst verlieren wir ihn!“
Doch zu spät. Unser Begleiter wurde direkt vor uns von der Menge verschluckt.
„Mist!“, fluchte ich etwas härter als beabsichtigt.
Josephine schmiegte sich versöhnlich an mich. „Wo ist er hin?“
„Ich weiß es nicht.“
Unschlüssig gingen wir weiter geradeaus Richtung Palazzo ; zumindest glaubte ich, dass er es war. Kurz davor lichtete sich der Besucherstrom einen Moment und ich entdeckte unseren Begleiter, der am Straßenrand stand und uns heranwinkte. „Kommen Sie, hier entlang“, rief er uns zu.
Diese Fassade war unglaublich! Große Rundbögen , über denen gerade-zu zierlich anmutende Säulen folgten, die in ihrer Gesamtform etwas an einen Tennisschläger mit Kleeblattaussparung im Netz erinnerte.
Am Ende des Platzes bogen wir nach links und gelangten so zum Haupteingang.
„Das ist die Porta della Carta “, erklärte er uns, „und stammt aus dem 15. Jahrhundert.“
Wir verrenkten uns die Hälse und konnten trotzdem nur einen Bruch -teil der Schönheit fassen. Im Innenhof standen überall in Grüppchen Kostümierte, die wohl zum Gefolge des Dogen gehörten. Sie waren alle einheitlich in grün- oder blau-silber gekleidet, was ein wunderbares Bild abgab.
„Die Brunnen waren früher aus Stein, wurden im 16. Jahrhundert aber durch diese Bronzenen ersetzt. – Kommen Sie, ich zeige Ihnen morgen alles ganz genau.“
Ganz genau wurden wir auch vom Gefolge betrachtet. Ich fühlte mich unwohl, denn ihre Blicke wirkten seltsam durch die Sehschlitze der Masken, die das ganze Gesicht verbargen.
„Die Scala dei Giganti wurde am Ende des 15. Jahrhunderts gebaut, um die Krönung des Dogen öffentlich machen zu können.“
Ehrfürchtig folgten wir ihm in das erste Obergeschoss und den Flur entlang.
„Das ist Ihr Zimmer. Sie können sich jetzt etwa eine Stunde ausruhen, dann hole ich Sie zum Cena wieder ab. Bitte bleiben Sie hier und laufen nicht etwa alleine herum; man kann hier sehr
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