Weltkrieg der Waehrungen
Haushaltsspielräume deutlich einengen könnten. Die Verhandlungen zogen sich hin.
Als Angela Merkel am Samstag zu den Feiern des 65. Jahrestages des Siegs über Hitlerdeutschland nach Moskau reiste, war noch nichts entschieden. Finanzminister Wolfgang Schäuble sollte an ihrer Statt weiterverhandeln, doch der an den Rollstuhl gefesselte Schäuble musste wegen starker Schmerzen in ein Brüsseler Krankenhaus eingeliefert werden. Innenminister Thomas de Maizière übernahm kurzfristig. EZB-Chef Jean-Claude Trichet schaltete sich ein, und auch US-Präsident Barack Obama hatte der Bundesregierung kurz vorher per Telefongespräch seine tiefe Sorge über die Entwicklung auf dem Alten Kontinent ausgedrückt. Es wurden lange, sehr lange Verhandlungen, bei denen enorm viel auf dem Spiel stand: nicht nur die Zukunft des Euro, sondern auch die des globalen Finanzsystems und der transatlantischen Wirtschaft. Es war Europas Rendezvous mit der Geschichte im 21. Jahrhundert.
Nach dreitägigem Marathon, kurz nach Ãffnung der Börsen in Fernost, gab es â endlich â ein Kommuniqué: An der Oberfläche war es ein typisch europäischer Kompromiss, in dem sich jede Seite wiedererkennen konnte. Im Kern jedoch war es der Einstieg in eine ganz andere Art von Europäischer Union: Beispiellose 500 Milliarden Euro würde die Eurozone in Bedrängnis geratenen Mitgliedern bei Bedarf zur Verfügung stellen, ergänzt durch zusätzliche 250 Milliarden Euro des Internationalen Währungsfonds, der zudem sein finanztechnisches Know-how einbringen sollte. Das Ganze trug den Namen Euro-Rettungsschirm, oder offiziell European Financial Stability Facility (EFSF). Allein der deutsche Anteil an der Fazilität belief sich auf Ehrfurcht gebietende 148 Milliarden Euro oder rund sechs Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Am 3. Mai hatte der Bundestag bereits Hilfszusagen in Höhe von 22,4 Milliarden Euro für Griechenland freigegeben. Im Internet kursierte bald ein Spottbrief, der die â falsche â Rechnung aufmachte, dass durch die Euro-Rettung auf Deutschland gröÃere Belastungen zukommen könnten als unter den Auflagen des Versailler Vertrags von 1919.
An den Märkten verfehlte das Monsterpaket seine Wirkung nicht. Am Montag, dem 10. Mai, starteten die Börsen eine Erleichterungsrallye. Der Kurs zweijähriger griechischer Anleihen zog von 80 Prozent auf 92 Prozent des Nennwerts an. Der europäische Aktienindex EuroStoxx 50 sprang um zehn Prozent nach oben. Es war einer der gröÃten Tagesgewinne der Geschichte. Durch einen finanziellen und politischen Kraftakt war die Währungsunion vor dem Auseinanderbrechen bewahrt worden. Aber es war nicht mehr die gleiche Währungsunion wie noch Tage zuvor.
Die Konversion der »Madame Non«
Zu den bemerkenswerten Entwicklungen im Fortgang der Krise gehört der Wandel der Position von Angela Merkel. Das politische Chamäleon wechselte wieder seine Farbe. Anfang des Jahres 2010 hatte die Kanzlerin ein Eingreifen unter Berufung auf die EU-Verträge noch kategorisch ausgeschlossen. Ihre anfängliche strikte Ablehnung direkter Hilfen hatte Merkel in Brüssel bereits den Spitznahmen »Madame Non« eingebracht. Doch indem sich die Krise verschlimmerte, wurde aus »Frau Nein« erstaunlich schnell die Frau, die nicht mehr Nein sagen konnte. Während die deutsche Bevölkerung Athen am liebsten keinen Cent gegeben hätte, gab die Kanzlerin Mitte April in Brüssel schon Zusagen in Höhe von immerhin 8,4 Milliarden Euro. Anfang Mai reichte das nicht mehr aus. Ihrerseits von Brüssel und Paris unter Druck gesetzt, peitschte Merkel ein Gesetz durch das Parlament, das Griechenland deutsche Kreditgarantien in Höhe von 22,4 Milliarden Euro zubilligte. Seinen vorläufigen Abschluss fand die deutsche Zwangsfreigebigkeit in dem 148-Milliarden-Euro-Anteil am Rettungsschirm, der am 9. Mai in Brüssel beschlossen und schon am 21. Mai von der Regierungsmehrheit in Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde. Die gesamten, über die Jahre verteilten Verpflichtungen beliefen sich damit auf mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts.
»Gesetz zur Ãbernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus« lautete der Name des Regelwerks, das praktisch eine neue Währungsunion schuf und die Eurozone noch weiter von den Nicht-Euroländern entfernte. Merkel
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