Weltkrieg der Waehrungen
die eigene Währung nicht allzu teuer wird, weil das ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit auf ausländischen Märkten schadet. Gewerkschaften bevorzugen eine laxere Geldpolitik, da Forderungen nach steigenden Löhnen leichter durchzusetzen sind, wenn die Notenbanker mitspielen und der Wirtschaft reichlich Liquidität zur Verfügung stellen. Die Vorläuferorganisation der Bundesbank in der Vorkriegszeit, die Reichsbank, hatte Anfang der Zwanzigerjahre unter anderem deshalb einen Inflationskurs eingeschlagen, weil sie dazu beitragen wollte, die innenpolitische Zuspitzung im Land zu entschärfen: die Arbeiter sollten nicht noch mehr in die Arme der »Revolution« getrieben werden, nur weil ihnen die Arbeitgeber höhere Löhne verweigerten. Eine im ersten Moment nachvollziehbare Strategie â mit den bekannten fatalen Folgen.
Es waren jedoch gerade die schmerzlichen Erfahrungen der Bevölkerung mit galoppierender Inflation, die der Bundesbank ihre Aufgabe erleichterten. Die Deutschen waren zwar nicht die Einzigen gewesen, die im 20. Jahrhundert desaströse Teuerungswellen erlebt hatten, aber in keinem anderen Land des Kontinents hatte die Hyperinflation derart tiefe Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen. Wahrscheinlich ist es keine Ãberinterpretation zu behaupten, dass sich in die Angst vor dem Wertverfall des Geldes auch ein Körnchen Angst vor dem Wertverfall als Deutscher mischte: Nach zwei verlorenen Kriegen mit nachfolgender ausländischer Besatzung (1923 waren Franzosen und Belgier ins Ruhrgebiet einmarschiert, um Reparationsleistungen zu erzwingen) und einer Weltwirtschaftskrise hätte es um das deutsche Selbstvertrauen auch ohne Inflationstraumata nicht zum Besten gestanden. Als Konsequenz der doppelten Entwertungserfahrung genoss die Politik der Bundesbank, das Geld knapp (also wertstabil) zu halten, in der Bevölkerung beträchtlichen Rückhalt.
Nicht alle Völker des alten Kontinents hatten derart traumatische Erfahrungen mit dem Wertverfall des Geldes gemacht. Manche, wie die Italiener, lernten vielmehr, dass es sich mit einer weichen Währung ganz gut leben lieÃ. Wenn bei FIAT in Turin die Kosten zu stark stiegen, half eine Lira-Abwertung, die Fahrzeuge »made in Italy« wieder ins Geschäft zu bringen. Die besondere Inflationsaversion der Deutschen sollte Jahrzehnte später, bei den Verhandlungen über die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung, noch einigen Zündstoff liefern.
Als Bezwingerin der Inflation genoss die Bundesbank bei den Deutschen ein hohes Ansehen, ein höheres Ansehen sogar als Parlament oder Exekutive. So lieb und teuer die Hüterin der starken Mark den Bundesbürgern war, so sehr entwickelte sie sich im Laufe der Zeit zum Stein des AnstoÃes für die europäischen Partner. Was US-Finanzminister John Connally 1970 über den Dollar sagte (»Unsere Währung, euer Problem«), lieÃe sich auf die Bundesbank übertragen: Aus Sicht der Deutschen war sie »unsere« Notenbank, für die Europäer zuweilen ein Ãrgernis, ein Problem. Die »Buba« (wie sie auÃerhalb deutscher Grenzen oft genannt wurde) war eine Institution, die über ihre Zinspolitik die Konjunkturentwicklung auf dem ganzen Kontinent mitbestimmte. Die anderen Europäer konnten darauf wenig bis überhaupt keinen Einfluss nehmen. Nicht einmal über europäische Verträge lieà sich die Bundesbank vollends domestizieren. Durch ihre Autonomie war sie gegen Weisungen der Bonner Regierung immun. Vor allem für die Franzosen war das ein unhaltbarer Zustand â ein Zustand, der umso schwerer erträglich wurde, je mehr die D-Mark in Europa an Bedeutung gewann.
Stabilitätskultur
Indem sich die Bundesbank als unabhängige Institution etablierte und ihre Macht ausbaute, avancierte die Mark zu einer veritablen Hartwährung. In den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren war die Teuerungsrate in der Bundesrepublik meist noch höher gewesen als in der führenden westlichen Wirtschaftsmacht Amerika. Doch ab der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre senkte sich die Waagschale zugunsten der Deutschen. Deutschland entwickelte eine »Stabilitätskultur«. Der Prozess verstärkte sich gleichsam von selbst: Die »harte« Mark wurde zum Symbol des deutschen Wiederaufstiegs, und mit ihr stieg auch das Renommee der Bundesbank, jener Institution, der dieser
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