Weltraumpartisanen 17: Der Spiegelplanet
wenig überlegt hätte, wäre ich vielleicht von selbst darauf gekommen. Wer missionieren will, muß zu den Heiden gehen. Und wo, wenn nicht auf dem Platz der Seligen, dem Zentrum des Müßigganges und des Lasters, fanden sich die Heiden in hellen Scharen?
Mich empfing das übliche widerwärtige Treiben. Alle die Spieler, die Trunkenbolde und die Faulenzer waren versammelt. Die Wohlstandspartei unterhielt sie mit flotten Walzermelodien.
Meine Augen suchten den Platz ab.
Die Entdeckung durchzuckte mich wie ein Stromschlag. Ich hatte Oliva erblickt.
Sie stand auf einer Bank, und von diesem erhöhten Standpunkt aus, auf dem sie jeder sehen konnte, ließ sie ihre aufrührerischen Flugblätter in die Menge flattern. Zwei, drei, vier Sekunden ließ ich verstreichen, ohne mich zu rühren. Ich sah ein Bild von unwirklicher Schönheit.
Oliva stand mitten im Licht, eine schlanke, zierliche Gestalt wie aus einer anderen, besseren Welt, und unter ihren Händen verwandelten sich die Flugblätter in weiße Tauben; und diese Tauben schwirrten, wirbelten und kreisten über dem Platz wie Boten, die vom Himmel kommen.
Ich sah Olivas Gesicht. Es war heiter. Die Gefahr, in der sie schwebte, schien ihr nicht bewußt zu werden, oder aber sie ließ sich davon nicht rühren. Ihr Gesicht war das eines glücklichen Menschen. Schon einmal, im Wald, hatte ich diesen Ausdruck bei ihr gesehen. Oliva war dabei, die ganze Welt zu umarmen.
Ich stieß und drängte mich zu ihr durch.
Oliva sah mich kommen und lächelte mir zu. „Hallo, Mark!"
„ Oliva !" sagte ich scharf. „Hör sofort mit dem Unsinn auf! Sofort!"
Olivas Lächeln erlosch; ihr Blick warb um Verständnis. „Mark", sagte sie, „zürne nicht. Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht. Ich habe mich gefragt: Darf ich so weiterleben - im Besitz der Wahrheit, doch ohne sie auszusprechen?"
„ Oliva !"
Sie ließ sich nicht beirren.
„Es mußte sein, Mark. Es mußte einfach sein. Jemand muß den Leuten doch die Wahrheit sagen."
Ich blickte auf die wirbelnden Flugblätter.
Niemand hob sie auf, niemand las sie. Sie lagen wie weiße Saat auf dem Asphalt, und die Spieler, die Säufer und die Faulenzer trampelten gleichgültig darüber hinweg.
„ Oliva ", sagte ich, „begreifst du denn nicht - du predigst zu tauben Ohren! Die Leute sind satt und zufrieden. Sie wollen die Wahrheit gar nicht erfahren."
Oliva schüttelte den Kopf.
„Mark, das sind unglückliche Menschen. Man muß sie an der Hand nehmen, so wie du mich genommen hast, und sie hinausführen in den Wald, damit ihnen die Augen und Ohren aufgehen."
Irgendwo heulte eine Polizeisirene.
Ein Denunziant hatte Alarm geschlagen. Bald würde es auf diesem Platz und in den angrenzenden Straßen von Polizisten wimmeln - von Polizisten mit Hunden, mit Schlagstöcken und mit automatischen Gewehren. Die Wohlstandspartei duldete keine Kritik an ihrer Heilslehre. Die Ingenieure hatten ihre grünuniformierten Büttel in Marsch gesetzt, um die Opposition zum Schweigen zu bringen.
Ich hatte versucht, Oliva mit Worten zu überzeugen. Sie wollte nicht auf mich hören. Nun mußte ich handeln.
Ich trat näher, hob Oliva von der Bank herunter und griff nach dem Stapel Flugblätter, den sie an sich gepreßt hielt. „ Schluß damit! Wir gehen jetzt nach Hause!"
Oliva wollte die Flugblätter nicht hergeben.
Ein Dutzend Polizeisirenen heulte in unmittelbarer Nähe.
„ Oliva , du weißt ja nicht, was du tust! Sie werden dich umbringen."
Ich entriß Oliva die Flugblätter, und Oliva stellte den Widerstand ein und senkte den Kopf. In ihren Augen schimmerten Tränen, ich packte sie beim Handgelenk und zerrte sie unsanft hinter mir her.
„Verschwinden wir!"
Die Sirenen verstummten. Über den Platz hallten barsche Befehle.
Oliva war nicht mehr das Mädchen, das mit mir den Fluß hinabgeschwommen war. Eine neue Kraft hatte von ihr Besitz ergriffen. Oliva war ohne Furcht. Das einzige, was sie bedauerte, war die mißliche Lage, in die sie mich gebracht hatte.
„Mark, es tut mir leid ... Ich habe nicht gedacht, daß du mir folgen würdest. Ich werde den Polizisten sagen, daß du mit der Sache nichts zu tun hast, überhaupt nichts." Statt einer Antwort beschleunigte ich, ohne meinen Griff zu lockern, den Schritt. Oliva stolperte hinter mir her. Ich begann zu laufen.
Als ich einen Papierkorb entdeckte, warf ich die Flugblätter hinein. Ich sah noch, wie der Schlund des Mahlwerks sich auftat, um sie zu vernichten.
Alles, was Oliva
Weitere Kostenlose Bücher