Weltraumpartisanen 20: Triton-Passage
kannte ihn. Bevor ihn der Verlust seines Armes an den Schreibtisch fesselte, war er unter den Sternen zu Hause gewesen. Ebensogut wie ich war er in der Lage, die Verzweiflung nachzuempfinden, die an Bord der Han Wu Ti herrschte – doch über seine karge Andeutung hinaus würde er darüber kein Wort über die Lippen bringen. Und ebensowenig würde er seinen Entschluß kommentieren. Worte wie »Menschlichkeit« oder »moralische Verpflichtung« oder »Solidarität der Astronauten« nahm er nie in den Mund. Aber ein Leben lang hatte er mir und allen meinen Kollegen alles, was diese Worte beinhalteten, vorgelebt: auf seine nüchterne, unpathetische Weise.
Harris, spürte ich, war wieder er selbst. Er hatte seine Entscheidung getroffen – und das Versprechen, das er der Han Wu Ti gegeben hatte, war bindend. Der Direktor der VEGA hatte es ausgesprochen, und der Direktor der VEGA würde es halten: bis zum letzten Atemzug. Hinterher konnte man immer noch die Konsequenzen ziehen und den Hut nehmen – den Platz räumen für den Bürokraten, der darauf wartete.
Harris stand auf.
»Kommen Sie, Brandis. Die Nacht ist sowieso im Eimer. Was wir jetzt brauchen, ist ein starker Kaffee. Und dann wollen wir überlegen, was sich tun läßt.« Er drückte noch einmal auf die Sprechtaste. »Vielen Dank, Mr. Berger. Das war saubere Arbeit.«
Berger zeigte uns seinen abgewinkelten Daumen.
Harris stieß mich an.
»Verdammter Urlaub – was, Brandis?«
»Kann man wohl sagen, Sir.«
»Keine Sorge. Es kommen auch bessere Tage.«
»Darauf warte ich nun schon seit hundert Jahren, Sir.«
»Darauf warten wir alle. Aber niemand hat uns in diesen Beruf hineingeprügelt. Worauf es im Leben ankommt, ist dies: sich nützlich zu machen.«
Das Laufband brachte uns zum Lift. Oben angekommen, führte Harris einen kurzen, verbissenen Kampf mit dem Kaffeespender, bis schließlich zwei Becher gefüllt waren. In seinem Arbeitszimmer ließen wir uns nieder.
»Eine höllische Situation!« sagte Harris. »Selbst wenn wir gleich ein Bergungsschiff zur Han Wu Ti losjagen, haben die Leute an Bord kaum eine Chance.«
»Kaum«, bestätigte ich.
Harris schlürfte seinen Kaffee.
»Wie groß oder wie klein die Chance ist«, sagte er, »wird man nie erfahren, wenn man's nicht versucht.«
»Richtig«, bestätigte ich.
Harris starrte auf die Planetenkarte auf der Wand hinter seinem Schreibtisch.
»Dreiundachtzig Menschen sind zur Zeit noch am Leben. Wieviele noch am Leben sein werden, sobald unser Schiff dort eintrifft, weiß nur der Himmel.«
»Wahrscheinlich keiner«, sagte ich.
»Wahrscheinlich keiner«, pflichtete Harris mir bei. »Aber würden Sie die Hand dafür ins Feuer legen?«
Es war eine Frage auf das Gewissen.
»Nein, Sir. Es kann auch anders ablaufen. Man könnte es mit dem Computer errechnen – falls wir über die Baupläne der Han Wu Ti verfügten.«
»Wir haben sie nicht«, sagte Harris. »Und auch Computer machen Fehler. Wenn man Gewißheit haben will, muß man hin.«
Ich deutete auf das Visiofon.
»Also gut, Sir. Holen Sie Dr. Mildrich aus dem Bett.«
Harris rührte sich nicht.
»Wozu? Um noch einmal das Gleichnis vom Rettungsring zu hören? Zum Teufel mit Dr. Mildrich! Entweder wir lassen's bleiben – oder wir tun, was wir für richtig halten.«
Ich verspürte Unbehagen.
»Das wird Ärger geben, Sir.«
»Natürlich wird das Ärger geben«, sagte Harris. »Aber wir haben die Presse und damit die Öffentlichkeit auf unserer Seite. Wenn unser Mann mit den Geretteten zurückkehrt, kann ihm die ganze Politik den Buckel runterrutschen – um es einmal klipp und klar zu sagen.«
Die Rechnung erschien mir zu optimistisch.
»Wenn …«
Harris' Faust krachte auf den Tisch und brachte die Becher zum Zittern.
»Und wenn nicht, wird mir der betreffende Commander in der Wüste, in die man mich dann schicken wird, Gesellschaft leisten müssen. Sie und ich sind doch immer ganz gut miteinander ausgekommen. »
Ich starrte ihn an.
»Sir, ich dachte, die Rede sei von Busch!« Harris warf mir einen leeren Blick zu.
»Commander Busch steht nicht zur Verfügung. Commander Busch ist krank.«
»Und das, Sir, nehmen Sie ihm ab?«
Harris hob die Schultern.
»Also gut – er ist ebenso gesund wie Sie und ich. Seine Krankheit steht nur auf dem Papier. Sie kennen ihn. Sie kennen seine Einstellung. Für ihn ist jeder VOR ein Mörder seines Sohnes.« Harris seufzte. »Und sonst, verdammt, ist keiner greifbar – keiner außer Ihnen. Und Sie
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