Weltraumpartisanen 20: Triton-Passage
Karriere zu machen.
Die Nachtschwester fing mich ab, als ich aus dem Aufzug stieg.
»Wohin, Sir?«
»Commander Brandis«, sagte ich. »Ich will zu meiner Frau, Ruth O'Hara.«
Die Schwester machte ein Gesicht, als hätte ich einen unflätigen Wunsch geäußert.
»Sir, es ist noch mitten in der Nacht. Und dann glaube ich auch, daß es Ihrer Frau gar nicht so gut geht. Vor einer knappen Stunde war gerade noch der Arzt bei ihr.«
Ein Grund mehr, um mich nicht abwimmeln zu lassen.
»Bemühen Sie sich nicht!« sagte ich. »Ich kenne den Weg.«
Hinter den Gardinen lag das milde Licht des neuen Tages. Ruth wurde wach und wandte den Kopf.
»Mark!«
Ich zog einen Stuhl heran und ergriff ihre Hand.
»Ruth, was ist los?«
Sie lächelte unter Schmerzen.
»Eine kleine Komplikation, Mark. Aber die Ärzte sind gut und aufmerksam.« Sie sah mich fragend an. »Wieso bist du schon auf den Beinen?«
»Harris hat mich aus dem Schlaf geholt«, erwiderte ich.
»Warum?«
»Unsere kleine Komplikation«, erwiderte ich. »Ein VOR-Passagierschiff in Raumnot, die Han Wu Ti . Hundert Menschen an Bord, davon sind noch dreiundachtzig am Leben. Das Schiff sitzt am Neptun fest.«
Ruth schwieg.
Ich schwieg.
Ruth sah mir in die Augen. »Und jetzt sollst du …«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich soll gar nichts, Ruth. Bisher war alles nur ein unverbindliches Gespräch.«
Ruth dachte nach.
»Dreiundachtzig Menschen«, wiederholte sie leise.
»Deswegen die Abordnung aus Peking. Eine private Initiative. Ein Kind ist übrigens auch an Bord.«
Es war an der Zeit, Harris anzurufen und ihm zu sagen, daß ich den Auftrag ablehnte: aus Rücksicht auf meine Frau. Ihm blieb dann immer noch der Griff in den Zylinder.
Irgendwann bemerkte ich, daß Ruth mich ansah.
»Und was, Mark, erwartest du von mir?«
Es wäre besser gewesen, sie hätte das nicht gefragt; es wäre besser gewesen, sie hätte die Sache auf sich beruhen lassen.
»Ruth, ich habe Harris hingehalten, ohne ja oder nein zu sagen. Es ist eine verdammte Situation. Wenn überhaupt jemand etwas für diese Leute unternehmen kann, dann ist es die VEGA …«
Ruths Blick hielt mich fest.
»Und jetzt kommst du zu mir, Mark, und hoffst, daß ich dir die Entscheidung abnehme.« Ruth deutete ein Kopfschütteln an. »Ich kann das nicht, Mark. Ich bin nur deine Frau, nicht dein Gewissen.« Sie sah mich an und wartete ab.
»Laß mein Gewissen aus dem Spiel«, sagte ich wütend. »Ich bin weder der Knecht der VEGA noch der Heiland in Person. Ein Flug zum Neptun ist keine Spazierfahrt.«
Ruth legte eine Hand auf die meine.
»Und sonst, außer dir, ist keiner da, um den Auftrag zu übernehmen? Busch?«
»Busch will nicht«, sagte ich. »Er hat sich krank gemeldet. Du weißt ja, wie er ist.«
Ruth seufzte.
»Eine Frage, Mark …«
Ich ahnte, was kommen würde. »Ja?«
»Angenommen, es hätte diesen Unfall nicht gegeben und ich läge jetzt nicht hier – wärest du dann geflogen?«
Es war eine niederträchtige Frage.
»Ich wäre geflogen«, sagte ich.
Ruth streckte beide Hände nach mir aus, zog meinen Kopf zu sich herab und küßte mich auf Stirn und Mund.
»Viel Glück, Mark!« sagte sie. »Du wirst es brauchen.«
Als ich sie verließ, hob sie noch einmal, wie zu Tode erschöpft, die Hand.
Ich fand ein leeres Bürozimmer mit einem Visiofon und rief Harris an.
Oben auf dem Flugdeck blieb ich für einen Augenblick stehen. Nun, da die Entscheidung gefallen war, fühlte ich mich auf unerklärliche Weise erleichtert.
Ein Satz fiel mir ein. Er stand in einem Buch, das Ruth mir einmal geschenkt hatte. Das Buch besaß ich nicht mehr, aber der unterstrichene Satz war mir unvergeßlich geblieben: Woran du glaubst, dafür sollst du leben und sterben .
Woran glaubte ich? Im Augenblick glaubte ich an die Notwendigkeit dieser Bergungsexpedition. Das Fatale war, daß ich die ganze Zeit über daran geglaubt hatte. Im Grunde hatte ich nie daran gezweifelt; nur hatte ich mich dagegen zur Wehr gesetzt.
Ich atmete die frische, kühle Luft des jungen Tages, und die Luft schmeckte bereits nach Abschied.
Unter mir erwachte die 50-Millionen-Stadt zu neuem, ungestümen Tagwerk.
Fünfzig Millionen Menschen – und nicht einer davon war gleich dem anderen. Sie alle konnten ersetzt werden, gewiß; aber gegeneinander austauschen wie Puppen konnte man sie nicht. Ein jeder von ihnen hinterließ seine unverwechselbare Spur: im Bösen wie im Guten …
Und in Peking, in Shanghai, in Tokio?
Von
Weitere Kostenlose Bücher