Weltraumpartisanen 23: Vargo-Faktor
durch den Raum, als sie es theoretisch vermochte. Um elf Punkte war sie über die für sie errechneten hundert Prozent hinaus. Eigenschub und ZG arbeiteten nun Hand in Hand. Aus Feinden waren durch eine Drehung des Schiffes Verbündete geworden. Einmal hatte ich im NC zugesehen, wie der Sibiriak - zum Zwecke der Armaturenkontrolle - mittels einer sphärischen Peilung die Geschwindigkeit maß. Zwei Sterne genügten ihm.
„Sagen Sie mir bei hundertsechzig Bescheid. Ich bin in der Messe."
„Aye, aye, Sir."
Brandis warf die Gurte ab, stand auf und stieß mich an.
„Was halten Sie von einem Kaffee, Martin?"
Ich starrte ihn an. „Jetzt?"
Zu meinem grenzenlosen Erstaunen sah ich, daß Brandis lachte.
„Kommen Sie schon!" sagte er. „Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, und den Kaffee trinken, solange er einem noch schmeckt."
Ich begriff. Im Augenblick gab es für Brandis auf der Brücke nichts zu tun: nichts außer Warten. Das war die einzige Gewißheit. Alles weitere lag im Dunkeln. Brandis nutzte die ihm verbliebene knappe Frist, um sich zu stärken, vielleicht auch, um sich zu sammeln. Der Kaffee mochte ihm ein echtes Bedürfnis sein, aber auch nur als Vorwand dienen, um sich ein paar Minuten lang die Beine zu vertreten.
Vor der Messe holte ich ihn ein.
Wir traten ein. Tannard von der Paracelsus rutschte schimpfend auf dem Fußboden herum und suchte seine heruntergefallene Brille. Brandis bückte sich, hob sie auf und reichte sie ihm zu. Tannard legte sie auf den Tisch.
„Es hat keinen Sinn", sagte er, „es hat einfach keinen Sinn! Sie ist zu groß."
Das war sie in der Tat. Wie sie da auf dem Tisch lag, erschien sie mir geradezu monströs. Nur lag es nicht an ihr, daß sie nicht mehr paßte. Tannard war das inzwischen klar geworden. Es erklärte den feuchten Schimmer in seinen Augen.
Brandis brachte uns Kaffee. Die Becher waren ungewöhnlich groß und ungewöhnlich schwer. Die Reduktion machte Fortschritte. Brandis schien meine Gedanken zu erraten. Er fragte:
„Was halten Sie von dieser Story, Martin?"
„Bisher", erwiderte ich ehrlich, „vermisse ich das Happyend."
Brandis schüttete Zucker in seinen Kaffee und rührte um.
„Alles zu seiner Zeit, Martin", erwiderte er. „Auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden. Der Mensch kann immer nur einen Schritt nach dem andern machen. Nur eins darf er nicht..."
„Und das wäre?"
„Stehenbleiben!" sagte Brandis hart. „Wer stehenbleibt, hat keine Chance. Wer stehenbleibt, ist tot. Dieser Popsänger - er ist tot, er weiß es nur nicht. Unser gemeinsamer Freund Busch - er hat keine Chance, weil er sich festgerannt hat."
Ich nutzte die Gelegenheit, mehr über Brandis zu erfahren. Die Frage, wozu das noch gut sein sollte, schob ich beiseite.
„Eine Situation, in der Sie aufgeben, können Sie sich wohl nicht vorstellen, Mark?"
Brandis dachte nach.
„Ich bin kein Prophet, Martin", antwortete er dann. „Oder sehe ich so aus? Ich weiß nur, daß dies" - er machte eine alles umfassende Bewegung - „die Situation bestimmt nicht ist. Wir sind in das Loch gefallen -das ist richtig -, und nun machen wir die Erfahrung, daß Vargos Theorie den Realitäten entspricht. Wir sind der Beweis."
Der Lautsprecher knackte. Stroganows kräftige Stimme ließ sich vernehmen.
„Commander - Kartenhaus. Fahrt, positiv voll plus hundertundsechzig!"
Brandis stand auf, stellte seinen Becher fort und tippte mich an.
„Kommen Sie, Martin Es wird Zeit, daß wir aus dem Loch wieder rauskrabbeln."
Brandis ging einen raschen Kontrollgang. Die WC-Tür stand auf. Auf dem Fußboden kauerte eine Gestalt im himmelblauen Frack mit silbernen Knöpfen. Brandis blieb stehen und sagte:
„Kommen Sie zu sich, Junge! Sie werden noch tausend Lieder singen - und eins davon wird vielleicht vom Sinn des Lebens erzählen. Gehen Sie ins Hospital und lassen Sie sich einen Schnaps verpassen. Sagen Sie, ich hätte ihn bewilligt."
Owen Sheriff, der Popsänger, zeigte uns ein erloschenes Gesicht mit leeren Augen. Er war nur noch ein Häuflein Elend, das nichts verstand.
Brandis überließ das Häuflein Elend sich selbst und begab sich ins Cockpit. Wie er da vor mir herging, schien er unverändert zu sein. Nur das Schiff schien sich geweitet zu haben. Es tat gut, sich etwas vorzulügen. Die Wahrheit war zu grausam.
Wir nahmen unsere Plätze ein. Brandis drückte die Sprechtaste.
„Frage: Fahrt?"
„Positiv voll plus hundertzweiundsiebzig." Brandis wandte sich an die
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