Weltraumpartisanen 30: Die Eismensch-Verschwörung
wohl das Wichtigste. Ruth schlang die Arme fester um das ruhig atmende Kind, lehnte sich zurück und schloß die Augen.
Den ganzen Tag war sie nicht zur Ruhe gekommen. Endlich durfte sie entspannen.
Panisches Schreien weckte sie. Um sie herum herrschte stockdunkle Nacht, und der Express 303 stand.
Eine Frau, die man in der Dunkelheit nicht sehen konnte, kreischte hysterisch. Ruth war sofort klar, was geschehen war. Die Energiezufuhr war unterbrochen.
Und dann?
Wie lange hatten sie im Zug ausgeharrt, immer in der Hoffnung, die Energie würde wieder zugeschaltet werden? Oder die Berger würden kommen, um sie herauszuholen … Wie lange? Ruth wußte es nicht mehr. Irgendwann waren sie aufgebrochen. Der erste, der den Zug verließ, bestimmte die Richtung. Die anderen folgten. Sie stolperten hintereinander her durch die stockdunkle Röhre, bis endlich wie der gute Stern von Bethlehem das Notlicht einer Survival-Lounge vor ihnen auftauchte.
Im übrigen war das Notlicht, so lange es brannte, das einzige Freundliche an der Überlebensbox. Kabelarbeiten hatten sie in eine unwirtliche Baustelle verwandelt. Aus den Schächten tropfte nach Chemie stinkendes Kondenswasser. Das Telefon war außer Betrieb. Jemand, der sich als Fernmeldetechniker bezeichnete, versuchte es im Schein eines Feuerzeuges anzuschließen, aber er mußte aufgeben, weil die Ursache des Defektes irgendwo außerhalb seiner Reichweite zu suchen war.
Und damit begann das lange Warten.
In der Kontrollbox des Doppelbahnhofs unter dem Samuel-Hirschmann-Platz war ein unrasierter Stationsmaster im Flackerschein einer Kerze mit müder Stimme am Telefonieren, als die Frau aus der Röhre auftauchte.
Er sah sie erst, als sie die Tür aufzog. Sie hatte langes rotes Haar und trug ein hustendes Kind auf dem Arm.
Sie war so erschöpft, daß sie sich kaum noch auf den Beinen hielt.
Der Stationsmaster starrte sie an wie eine Erscheinung.
Die Frau deutete in die Schwärze, aus der sie gekommen war.
»Express 303 «, brachte sie hervor. »Die andern sitzen noch in einer Survival-Lounge, in der es bald keine Luft mehr gibt.«
Der Stationsmaster reagierte auf die Nachricht auf eine Weise, die die Frau befremdete. Auch Entsetzen nutzt sich ab, und aus Anteilnahme wird hilflose Apathie. Der Beamte reagierte mit einem ergebenen Achselzucken.
»Alle Express stecken fest. Alle Express und alle City Subs. Und es ist fraglich, ob wir sie wieder flottbekommen. Wenn wir aus Kanada nicht noch einmal Energie erhalten, von den Niagarafällen …«
Auch der Stationsmaster stand kurz vor dem Zusammenbruch. Er mußte sich zusammenreißen, um der Frau Auskunft zu geben – daß alles nicht die Schuld der Metro war.
»Wir haben Verstärkung angefordert«, sagte er, »ein Pionierbataillon. Sobald das da ist, holen wir die Leute raus.«
»Beeilen Sie sich.«
Die Frau zeigte dem Stationsmaster einen versiegelten Plastikstreifen. Dieser wies sie aus als Ruth O’Hara von der Public-Relations-Abteilung der VEGA.
»Ich muß dringend mit meiner Dienststelle telefonieren«, sagte sie. »Geht das von hier?«
Der Beamte schüttelte den Kopf.
»Sie kommen aus dem Netz nicht ‘raus. Aber eine Zelle ist zwischen den Treppen.«
»Danke.«
Ruth eilte zum Ausgang, Die Rolltreppe rührte sich nicht. Ruth kämpfte sich die viel zu hohen Stufen hinauf bis zur menschenleeren Verkaufsetage. Von oben fiel graues Tageslicht in den eisigen Schacht. Ruth fand die Visiofonzelle und wählte Harris’ Nummer. Gott im Himmel, betete sie dabei, laß Harris aus Las Lunas zurück sein! Und ihr Gebet wurde erhört.
Auf dem Bildschirm erschien das kantige Gesicht des einarmigen VEGA-Direktors.
»Ja?«
»Ruth O’Hara, Sir.«
»O, Ruth. Ich kann Sie kaum erkennen. Wo stecken Sie? Wir sind in großer Sorge um Sie.«
Ruth spürte, daß sie gleich losheulen würde vor lauter Glück.
»Hören Sie, Sir«, sagte sie, »ich erkläre Ihnen alles, sobald ich da bin. Im Augenblick brauche ich Ihre Hilfe, um hier wegzukommen. Ich spreche vom Samuel-Hirschmann-Bahnhof.«
Harris’ Antwort war das beste Beruhigungsmittel.
»Ich werde dafür sorgen, daß Sie ein Taxi bekommen, Ruth.«
Gleich würde der Alptraum ein Ende nehmen.
Ruth stieg erleichtert die zweite Treppe hinauf. Unter dem Vordach blieb sie stehen. Es hatte geschneit, getaut und wieder gefroren. Und nun hatte sich Metropolis in eisigen Nebel gehüllt. Ruth fror. Aber sie blieb stehen, wo sie stand, bis sich aus dem zähen Grau die Umrisse des
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