Wem die Stunde schlaegt
Himmel, was mit Sordo geschehen wird, wenn sie die Spuren der Pferde im Schnee gefunden haben! Verteufelt unangenehm, daß das Schneien so plötzlich aufhören mußte. Aber daß der Schnee heute schon schmilzt, gleicht die Sache wieder aus. Nur nicht für Sordo. Ich fürchte, es ist zu spät, um für Sordo die Sache auszugleichen. Wenn wir den heutigen Tag überstehen, ohne kämpfen zu müssen, können wir morgen mit dem, was wir haben, die Sache schmeißen. Ich weiß, daß es geht, vielleicht nicht sehr gut, nicht so, wie es zu sein hätte, um hieb-und stichfest zu sein, nicht so, wie wir es gerne machen würden; aber wenn wir alle Mann aufbieten, können wir es schmeißen. Falls wir heute nicht kämpfen müssen. Gott sei uns gnädig, wenn wir heute kämpfen müssen!
Ich wüßte keinen besseren Platz als diesen, um in der Zwischenzeit stillzuliegen. Wenn wir uns jetzt bewegen, hinterlassen wir zu viele Spuren. Hier liegt man ganz gut, und wenn es zum Schlimmsten kommt, hat man drei Retraitewege. Schließlich muß es ja einmal dunkel werden, und ich kann bei Tagesanbruch von überall her die Brücke erreichen. Ich weiß nicht, warum ich mir so viel Sorgen gemacht habe. Jetzt sieht das Ganze recht einfach aus. Hoffentlich schicken sie einmal ihre Flugzeuge rechtzeitig los. Hoffentlich! Morgen wird es ordentlich stauben...
Na, der heutige Tag wird sehr interessant werden oder sehr langweilig. Gott sei Dank, daß wir das Kavalleriepferd weggeschafft haben! Auch wenn sie hier dicht herankommen, werden sie sich, glaube ich, in den Spuren nicht zurechtfinden. Sie werden glauben, ihr Mann hat haltgemacht und einen Bogen geschlagen, und sie werden Pablos Spur aufnehmen. Ich möchte wissen, wie das alte Schwein das macht. Wahrscheinlich legt er eine Fährte wie ein alter Elchbulle, der durch die Gegend spukt, und dann, wenn der Schnee schmilzt, kehrt er in weitem Bogen zurück. Seit er diesen Gaul hat, ist er wie verwandelt. Vielleicht ist er auch einfach mit ihm abgehauen. Jedenfalls wird er sich zurechtfinden. Er macht das schon lange genug. Aber ich traue ihm nicht über den Weg, nicht so weit, wie du den Mount Everest schleudern kannst...
Ich glaube, es ist schlauer, diese Felsen auszunützen und eine gute Deckung für das MG zu bauen, als eine richtige Schutzstellung anzulegen. Man wird sonst beim Buddeln überrascht und steht ohne Hose da, wenn sie anrücken oder wenn die Flugzeuge kommen. Wie ich Pilar kenne, wird sie die Stellung halten, solange es überhaupt Zweck hat, und ich kann ohnedies nicht dableiben. Ich muß mit dem Sprengstoff hier raus, und ich werde Anselmo mitnehmen. Wer wird unseren Rückzug decken, wenn wir hier zu kämpfen haben? Gerade in diesem Augenblick, während er das sichtbare Gelände beobachtete, sah er den Zigeuner zwischen den Felsen zur Linken herankommen. Er ging mit schlendernden, lockeren Schritten, die Beine in den Hüften schlenkernd, der Karabiner hing über seinem Rücken, ein Grinsen lag auf seinem braunen Gesicht, und er trug zwei große Hasen, einen in jeder Hand. Er hielt sie an den Hinterbeinen, die Köpfe baumelten herab.
» Hola, Roberto!« rief er fröhlich.
Robert Jordan legte den Finger an den Mund, und der Zigeuner sah erschrocken drein. Er schlich hinter den Felsen zu Robert Jordan hin, der neben dem camouflierten MG kauerte. Dann hockte er sich gleichfalls nieder und legte die Hasen in den Schnee. Robert Jordan blickte zu ihm auf. »¡ Hijo de la gran puta!« sagte er leise. »Wo zum Teufel bist du gewesen?«
»Ich habe ihnen nachgespürt«, sagte der Zigeuner. »Ich habe sie beide erwischt. Sie haben's im Schnee miteinander getrieben.«
»Und deinen Posten hast du verlassen?«
»Es war ja nicht für lange«, flüsterte der Zigeuner. »Was ist los? Alarm?«
»Kavallerie ist unterwegs.«
»¡Rediós!« sagte der Zigeuner. »Hast du welche gesehen?«
»Einer ist unten im Lager«, sagte Robert Jordan. »Er kam zum Frühstück.«
»Mir war doch, als ob ich einen Schuß hörte oder so was Ähnliches«, sagte der Zigeuner. »Ich – – – in die Milch! Ist er hier durchgekommen?«
»Hier. An deinem Posten.«
»¡Ay, mi madre!« sagte der Zigeuner. »Ich bin ein armer, unglücklicher Mensch.«
»Wenn du nicht ein Zigeuner wärst, würde ich dich erschießen.«
»Nein, Roberto. Sag das nicht. Es tut mir leid. Es waren die Hasen. Kurz vor dem Hellwerden hörte ich das Männchen im Schnee mit den Läufen schlagen. Du kannst dir nicht vorstellen,
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