Wem die Stunde schlaegt
Frühlingstag. Und dieser Kerl mit seinem stinkenden Maul steht da und beschwört noch mehr Unheil auf uns herab.
Jetzt verstummte der Hauptmann und wandte sich zu Leutnant Berrendo. Seine Augen sahen seltsamer aus denn je.
»Paco«, sagte er vergnügt, »wir beide werden hinaufgehen.«
»Ich nicht.«
»Was?« Der Hauptmann zog wieder seine Pistole.
Ich hasse Leute, die immer mit der Pistole herumfuchteln, dachte Berrendo. Sie können keinen Befehl erteilen, ohne gleich die Pistole zu ziehen. Wenn sie aufs Klosett gehen, ziehen sie wahrscheinlich auch die Pistole und befehlen eins, zwei, drei. »Wenn du es mir befiehlst, gehe ich mit, aber unter Protest«, sagte Leutnant Berrendo.
»Dann gehe ich allein«, sagte der Hauptmann. »Hier stinkt es zu sehr nach Feigheit.«
Die Pistole in der Rechten, ging er mit langsamen Schritten den Abhang hinauf. Berrendo und der Schütze beobachteten ihn. Er verschmähte jede Deckung und hielt den Blick starr nach vorn gerichtet, auf die Felsen, den toten Gaul und die frisch aufgewühlte Erde.
El Sordo lag hinter dem Gaul an der Kante des Felsens und sah den Hauptmann den Hügel hinaufmarschieren.
Nur einer, dachte er. Wir erwischen nur einen. Aber nach seiner Redeweise zu schließen ist er caza mayor. Schau, wie er geht! Schau, was für ein Tier das ist! Schau, wie er daherstelzt! Der gehört mir. Den nehme ich auf meine Reise mit. Der macht dieselbe Reise wie ich. Komm nur, komm, mein Reisekamerad! Komm näher. Komm heran. Die Reise wartet auf dich. Nur nicht stehenbleiben! Nur immer ran! Komm, wie du bist. Schau sie gar nicht an, die da liegen. So ist's recht. Gar nicht hinschauen! Geh nur weiter, den Blick geradeaus gerichtet. Schau, er hat einen Schnurrbart. Was sagst du dazu? Er trägt gern einen Schnurrbart, der Herr Reisekamerad. Er ist Hauptmann. Schau, die Streifen auf dem Ärmel. Ich habe ja gleich gesagt, er ist caza mayor. Er hat ein Gesicht wie ein Inglés. Schau! Ein rotes Gesicht und blonde Haare und blaue Augen. Ohne Mütze, und sein Schnurrbart ist strohblond. Blaue Augen. Blaßblaue Augen. Blaßblaue Augen, mit denen irgend etwas nicht stimmt. Blaßblaue Augen, die sich nicht richtig einstellen können. Jetzt ist's nahe genug. Schon viel zu nahe. Ja, Herr Reisekamerad. Da hast du, Herr Reisekamerad!
Er drückte sanft auf den Abzug des MGs, und es schlug ihm dreimal gegen die Achsel mit dem ungleichmäßigen Gerüttel, das den Rückstoß einer dreibeinigen Schnellfeuerwaffe charakterisiert. Der Hauptmann lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Hügelhang. Der linke Arm lag unter dem Körper, der rechte, der die Pistole hielt, war über den Kopf weg nach vorne gestreckt. Schüsse knallten zu der Kuppe hinauf.
Leutnant Berrendo, der hinter dem Felsblock hockte und überlegte, daß er nun im feindlichen Feuer über das freie Gelände würde laufen müssen, hörte die tiefe, heisere Stimme El Sordos aus der Höhe erschallen.
»¡Bandidos! ¡Bandidos! Erschießt mich! Schießt mich tot!«
El Sordo lag hinter seinem MG und lachte so sehr, daß ihm die Brust weh tat, daß er glaubte, die Schädeldecke müsse ihm platzen.
»¡Bandidos!« schrie er abermals voller Vergnügen. »Schießt mich tot, bandidos !« Dann schüttelte er fröhlich den Kopf. Wir haben reichliche Reisegesellschaft, dachte er.
Er wollte versuchen, auch den zweiten Offizier zu erwischen, sobald er den Schutz des Felsblocks verließ. Früher oder später würde er sich hervorwagen müssen. El Sordo wußte, daß er von dort aus seine Leute nicht befehligen konnte, und er rechnete mit der Chance, ihn zu erwischen.
Gerade in diesem Augenblick hörten die anderen auf dem Hügel das erste Surren der herannahenden Flugzeuge.
El Sordo hörte es nicht. Er hielt sein MG auf den der Senke zugekehrten Rand des Felsblocks gerichtet und dachte: Ich sehe ihn erst, wenn er schon im vollen Lauf ist, und wenn ich nicht vorsichtig bin, werde ich ihn verfehlen. Ich könnte über die ganze Strecke weg hinter ihm her schießen. Ich könnte das MG mit ihm mitschwenken und immer ein Stückchen vorhalten. Oder ich lasse ihn loslaufen und nehme ihn dann erst aufs Korn. Ich werde versuchen, ihn gleich am Rand des Felsens zu packen und dann dicht vor seine Beine zu zielen. Jemand berührte seine Schulter, er drehte sich um und sah das graue, angstbleiche Gesicht Joaquíns, sein Blick folgte der ausgestreckten Hand des Jungen, und er sah die drei heranfliegenden Flugzeuge.
In diesem selben Moment
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