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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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trotz der drei Schußwunden im Leib, trotz des verdammten Hügels!
 Im stillen machte er Witze darüber, aber er schaute zum Himmel auf und betrachtete die fernen Berge, und er schluckte den Wein hinunter, und er schmeckte ihm nicht. Wenn es sein muß, dachte er – und sicherlich muß es sein –, dann verstehe ich zu sterben. Aber ich sterbe nicht gern.
 Das Sterben war gar nichts, er machte sich kein Bild vom Sterben, und er fürchtete sich nicht vor dem Sterben. Aber Leben war für ihn ein im Wind wogendes Kornfeld auf einem Hügelhang. Leben war der Falke im Blau. Leben war ein irdener Krug voll Wasser im Staub des Dreschbodens, wenn das Korn ausgedroschen wird und die Spreu umherstiebt. Leben war ein Gaul zwischen den Beinen und ein Karabiner unter dem einen Bein, und ein Hügel und ein Tal und ein Fluß mit Bäumen am Ufer, und die andere Seite des Tals und die Berge dahinter. El Sordo gab den Weinbeutel zurück und bedankte sich mit einem Kopfnicken. Er beugte sich vor, tätschelte den toten Gaul auf die Kruppe, wo der Lauf des MGs die Haut verbrannt hatte. Noch immer war der Geruch der verbrannten Haare zu spüren. Er dachte daran, wie er das zitternde Pferd festgehalten hatte, während rund umher die Kugeln hagelten, zischend und prasselnd, über ihnen und neben ihnen wie ein eiserner Vorhang, und wie er ihm sorgfältig die Pistole angesetzt hatte, genau dort, wo die Querlinien zwischen den beiden Augen und Ohren sich schneiden. Dann, als der Gaul zusammenstürzte, hatte er sich hinter seinem warmen, nassen Rücken hingeworfen, um das MG in Gang zu setzen.
  »Eras mucho caballo«, sagte er. »Du warst ein braver Gaul.«
 El Sordo lag nun auf der gesunden Seite und blickte zum Himmel auf. Er lag auf einem Haufen leerer Patronenhülsen, aber sein Kopf war durch den Felsen geschützt und sein Körper durch den Pferdekadaver. Seine Wunden waren arg verschwollen, er hatte viel Schmerzen, und er war zu müde, um sich zu rühren.
 »Was ist mit dir los, Alter?« fragte der Mann neben ihm.
 »Nichts. Ich ruhe mich ein wenig aus.«
 »Schlaf!« sagte der andere. »Sie werden uns schon aufwecken, wenn sie kommen.«
 In diesem Augenblick schrie jemand den Hang herauf: »Hallo, ihr Banditen!«
 Die Stimme kam hinter den Felsen hervor, hinter denen das nächste MG stand. »Ergebt euch jetzt, bevor die Flugzeuge euch in die Luft sprengen!«
 »Was sagt er?« fragte Sordo.
 Joaquín sagte es ihm. El Sordo wälzte sich auf die Seite und richtete sich halb auf, so daß er wieder hinter dem MG kauerte.
 »Vielleicht kommen gar keine Flugzeuge«, sagte er. »Gebt keine Antwort und schießt auch nicht! Vielleicht können wir sie dazu verleiten, noch einmal anzugreifen.«
 »Wenn wir sie ein bißchen beschimpfen würden?« sagte der Mann, der Joaquín die Geschichte von dem Sohn der Pasionaria erzählt hatte.
 »Nein«, sagte Sordo. »Gib mir deine schwere Pistole. Wer hat eine schwere Pistole?«
 »Hier.«
 »Gib sie mir.« Auf den Knien kauernd nahm er die schwere Neun-Millimeter-Pistole, feuerte einen Schuß gegen die Erde neben dem toten Gaul, wartete und gab dann weitere vier Schüsse ab, in unregelmäßigen Abständen. Dann wartete er, während er bis sechzig zählte, und dann feuerte er einen letzten Schuß direkt in den Kadaver des toten Gauls. Grinsend gab er die Pistole zurück.
 »Frisch laden!« flüsterte er. »Und daß keiner den Mund aufmacht! Und daß niemand schießt!«
  »Bandidos!« schrie die Stimme hinter dem Felsen.
 Auf dem Hügel sagte keiner einen Ton.
  »Bandidos! Ergebt euch jetzt, bevor wir euch in kleine Stücke sprengen!«
 »Sie beißen an«, flüsterte Sordo erfreut.
 Er sah, wie ein Mann den Kopf hinter einem Felsblock hervorstreckte. Es fiel kein Schuß, und der Kopf verschwand wieder. El Sordo wartete lauernd, aber es ereignete sich nichts mehr. Er wandte den Kopf und sah die anderen an, die die ihnen zugewiesenen Sektionen des Hangs beobachteten. Als er sie ansah, schüttelten sie die Köpfe.
 »Nicht rühren!« flüsterte er.
 »Verdammte Hurensöhne!« schrie nun wieder die Stimme hinter dem Felsen.
 »Rote Schweine! Blutschänder! Ihr, die ihr die Milch eurer Väter sauft!«
 El Sordo grinste. Wenn er sein gesundes Ohr hinhielt, konnte er die Beschimpfungen gerade noch hören. Das ist besser als Aspirin, dachte er. Wie viele werden wir erwischen? Können sie so dumm sein?
 Die Stimme war wieder verstummt, und drei Minuten lang sah und hörte man nichts. Dann

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