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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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kam der Scharfschütze hinter dem Felsblock etwa dreißig Meter weiter unten am Hang aus seiner Deckung hervor und gab Feuer. Die Kugel schlug gegen den Fels, prallte ab und flog mit einem scharfen Winseln davon. Dann sah Sordo einen Mann in gebückter Haltung aus dem Schutz der Felsen, hinter denen das MG stand, über das offene Gelände zu dem großen Felsblock hinlaufen, hinter dem der Scharfschütze verborgen lag. Fast kopfüber verschwand er hinter dem Felsblock.
 El Sordo schaute sich um. Seine Leute teilten ihm durch Zeichen mit, daß auf den anderen Hängen sich nichts rühre. El Sordo grinste vergnügt und schüttelte den Kopf. Das ist zehnmal besser als Aspirin, dachte er, und er war so vergnügt, wie nur ein Jäger vergnügt sein kann.
 Drunten auf dem Hang sprach der Mann, der aus der MGStellung zu dem Felsblock hinübergelaufen war, mit dem Scharfschützen. – »Glaubst du es?«
 
»Es wäre nur logisch«, sagte der andere, ein Offizier, der jetzt das Kommando führte. »Sie sind umzingelt. Sie haben nichts anderes zu erwarten als den Tod.«
 Der Schütze schwieg.
 »Was meinst du?« fragte der Offizier.
 »Nichts«, sagte der Schütze. »Hat sich nach den Schüssen noch etwas gerührt?«
 »Nein, nichts.«
 Der Offizier blickte auf seine Armbanduhr. Es war zehn Minuten vor drei.
 »Die Flugzeuge sollten schon seit einer Stunde hier sein«, sagte er. Gerade in diesem Augenblick kam ein zweiter Offizier hinter den Felsblock gelaufen. Der Schütze rückte zur Seite, um ihm Platz zu machen.
 »Du Paco!« sagte der erste Offizier. »Was hältst du davon?«
 Der zweite Offizier atmete heftig von dem raschen Lauf über den Hügelhang.
 »Ich halte es für eine List«, sagte er.
 »Aber wenn es keine List ist? Dann machen wir uns lächerlich, daß wir hier liegen und fünf Leichen belagern.«
 »Wir haben schon etwas gemacht, das schlimmer war als lächerlich«, sagte der zweite Offizier. »Schau dort hinauf!«
 Er blickte den Hang hinauf zu den Gefallenen, die dicht unterhalb des Gipfels lagen. Er sah in den Konturen der Kuppe die zackigen Felsen, Bauch, Beine und beschlagenen Hufe von Sordos Gaul und die frisch aufgeworfene Erde.
 »Was ist mit den Mörsern?« fragte der zweite Offizier.
 »Sie müssen in einer Stunde hier sein, wenn nicht früher.«
 »Dann warten wir so lange. Es sind schon genug Dummheiten gemacht worden.«
  »Bandidos!« rief plötzlich der erste Offizier, sprang auf und steckte den Kopf über den Felsblock hinaus, so daß ihm nun die Kuppe des Hügels viel näher erschien. »Rote Schweine! Feiglinge!«
 Der zweite Offizier sah den Schützen an und schüttelte den Kopf. Der Schütze schaute weg, aber seine Lippen strafften sich.
 Der erste Offizier stand da, die Hand am Pistolengriff, und sein Kopf war völlig ungedeckt. Er stieß die wildesten Flüche und Beschimpfungen aus. Auf dem Gipfel des Hügels rührte sich nichts. Nun trat er ganz hinter dem Felsblock hervor, stand da und blickte hinauf.
 »Schießt, Feiglinge, wenn ihr noch lebt«, schrie er. »Hier steht einer, der fürchtet keinen Roten, welcher jemals aus dem Bauch der großen Hure hervorgekrochen ist!«
 Das war nun ein ziemlich langer Satz gewesen, und als der Offizier zu schreien aufhörte, war sein Gesicht ganz rot und gedunsen.
 Der zweite Offizier, ein magerer, sonnverbrannter Mann mit ruhigen Augen, schmalem Mund, langen Lippen und einem Stoppelbart auf den hohlen Wangen, schüttelte abermals den Kopf. Der Offizier, der jetzt hinaufschrie, hatte den ersten Angriff befohlen. Der junge Leutnant, der tot auf dem Abhang lag, war der beste Freund dieses anderen Leutnants gewesen, der Paco Berrendo hieß und sich nun das Geschrei des Hauptmanns anhörte, welcher sich offensichtlich in einem Zustand höchster Erregung befand.
 »Das sind die Schweine, die meine Schwester und meine Mutter erschossen haben!« sagte der Hauptmann. Er hatte ein rotes Gesicht und einen blonden Schnurrbart wie ein Engländer, und mit seinen Augen war etwas nicht in Ordnung. Sie waren hellblau, und auch die Wimpern waren ganz hell. Wenn man sie ansah, schienen sie sich erst ganz langsam einzustellen. »Rote!« schrie er. »Feiglinge!« Und wieder begann er zu fluchen.
 Er stand jetzt völlig ungedeckt da. Sorgfältig zielend, feuerte er seine Pistole auf das einzige Ziel ab, das sich ihm bot: das tote Pferd, das Sordo gehörte. Die Kugel wühlte fünf Meter unterhalb des Gauls eine Erdfontäne auf. Der Hauptmann schoß

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