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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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noch einmal. Die Kugel schlug gegen einen Fels und surrte davon.
 Der Hauptmann stand da und blickte zu dem Gipfel hinauf. Leutnant Berrendo betrachtete den Leichnam des anderen Leutnants dicht unterhalb der Kuppe. Der Schütze musterte das Gelände vor seinen Augen. Dann blickte er zu dem Hauptmann auf.
 »Dort oben ist keiner mehr am Leben«, sagte der Hauptmann. »Du«, sagte er zu dem Schützen, »geh hinauf und schau nach.«
 Der Schütze blickte zu Boden und schwieg.
 »Hast du nicht gehört?« schrie der Hauptmann ihn an.
 »Ja, Herr Hauptmann«, sagte der Schütze, ohne ihn anzusehen.
 »Dann steh auf und geh!« Er hielt immer noch die Pistole in der Hand. »Hast du mich verstanden?«
 »Ja, Herr Hauptmann.«
 »Warum gehst du dann nicht?«
 »Ich will nicht, Herr Hauptmann.«
 »Du willst nicht?« Der Hauptmann stieß ihm die Pistole ins Kreuz. »Du willst nicht?«
 »Ich habe Angst, Herr Hauptmann«, sagte der Schütze mit Haltung.
 Leutnant Berrendo, der das Gesicht und die seltsamen Augen des Hauptmanns beobachtete, dachte schon, er würde den Mann übern Haufen schießen.
 »Hauptmann Mora«, sagte er.
 »Leutnant Berrendo?«
 »Möglicherweise hat der Mann recht.«
 »Was? Er hat recht, wenn er sagt, daß er Angst hat? Er hat recht, wenn er sich weigert, einen Befehl durchzuführen?«
 »Nein. Aber er hat vielleicht recht, wenn er das Ganze für eine Kriegslist hält.«
 »Sie sind alle tot«, sagte der Hauptmann. »Hörst du nicht, was ich sage? Alle sind sie tot.« »Meinst du unsere Kameraden auf dem Abhang?« sagte Berrendo. »Da sind wir einer Meinung.«
 »Paco«, sagte der Hauptmann, »sei nicht dumm. Glaubst du, du bist der einzige, der an Julián hing? Ich sage dir, die Roten sind tot. Schau!«
 Er richtete sich auf, legte beide Hände auf den Felsblock, zog sich empor, krabbelte sich auf den Knien hoch und stellte sich dann auf den Felsblock.
 »Schießt!« schrie er und fuchtelte mit den Armen. »Erschießt mich! Schießt mich tot!«
 Auf dem Gipfel hinter dem toten Gaul lag El Sordo und grinste. Das sind Leute! dachte er. Er schüttelte sich vor Lachen und versuchte seine Heiterkeit zu unterdrücken, weil das Lachen ihm im Arm weh tat.
 »Ihr Roten!« scholl es herauf. »Rote Kanaille! Erschießt mich! Schießt mich tot!«
 El Sordo, die Brust von Lachen geschüttelt, spähte vorsichtig über die Kruppe des Pferdes und sah den Hauptmann mit fuchtelnden Armen auf dem grauen Granitblock stehen. Ein zweiter Offizier stand daneben. Der Schütze stand an der anderen Seite. El Sordo wandte kein Auge von diesem Schauspiel und schüttelte vergnügt den Kopf.
 »Schießt mich tot!« murmelte er leise vor sich hin. »Schießt mich tot!« Wieder zuckten seine Schultern. Das Lachen tat ihm im Arm weh, und jedesmal wenn er lachte, glaubte er, der Kopf müsse ihm zerspringen. Aber von neuem schüttelte ihn das Lachen wie ein Krampf.
 Hauptmann Mora stieg von dem Felsblock herunter.
 »Glaubst du mir jetzt, Paco?« fragte er den Leutnant.
 »Nein«, sagte Leutnant Berrendo.
  »¡Cojónes!« sagte der Hauptmann. »Ich bin von lauter Idioten und Feiglingen umgeben.« Der Schütze hatte sich vorsichtigerweise wieder hinter den Felsblock verzogen, und Leutnant Berrendo hockte neben ihm.
 Der Hauptmann stand ungedeckt neben dem Felsblock und begann die ordinärsten Schimpfworte zur Kuppe hinaufzurufen. Keine Sprache enthält so viele Ordinärheiten wie das Spanische. Im Spanischen findet man nicht nur dieselben Obszönitäten wieder wie in anderen Sprachen, sondern außerdem noch eine Reihe von Worten und Ausdrücken, wie sie nur in Ländern vorkommen, wo die Kunst des Fluchens mit der Strenge der religiösen Sitten Schritt hält. Leutnant Berrendo war ein frommer Katholik, desgleichen der Schütze. Beide waren sie Karlisten aus Navarra, und obwohl sie im Zorn zu fluchen und zu lästern pflegten, betrachteten sie das Fluchen als eine Sünde, die sie regelmäßig beichteten.
 Während sie nun hinter dem Felsen hockten und sich das Gefluche des Hauptmanns mitanhörten, sagten sie sich beide von ihm und seinen Reden los. Sie wollten nicht an diesem Tag, der vielleicht ihr letzter sein würde, solche gemeinsamen Blasphemien auf dem Gewissen haben. So was bringt kein Glück, dachte der Schütze. So über die Virgen zu reden, bringt Unglück. Der redet ja noch übleres Zeug als die Roten.
 Julián ist tot, dachte Leutnant Berrendo. Tot liegt er dort auf dem Hang an diesem schönen

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