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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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sei ein verteufelt tüchtiger Soldat gewesen. Sie behaupteten, wenn er damals an Custers Seite gewesen wäre, hätte er sich nicht so hineinlegen lassen wie Custer. Wie konnte der Mann bloß den Rauch und den Staub der vielen Zelte dort unten in der Schlucht am Little Big Horn nicht sehen, wenn der Morgen nicht gerade sehr neblig war. Aber es war nicht neblig gewesen.
 Ich wollte, Großvater wäre an meiner Stelle hier. Na, vielleicht werden wir morgen abend alle wieder beisammen sein. Sollte es irgend so was verdammt Dummes wie ein Jenseits geben, und ich bin sicher, daß es keines gibt, dachte er, würde ich mich gerne mit ihm unterhalten. Es gibt eine Menge Dinge, die ich gern von ihm erfahren möchte. Ich hätte jetzt das Recht, ihn auszufragen, weil ich selbst ganz ähnliche Sachen gemacht habe wie er. Ich glaube nicht, daß er jetzt etwas dagegen hätte, wenn ich ihn ausfragte. Früher hatte ich nicht das Recht, ihn auszufragen, ich verstehe, daß er mir nichts erzählen wollte, denn er kannte mich ja nicht. Aber jetzt, glaube ich, würden wir uns gut vertragen. Ich möchte mich jetzt gern mit ihm unterhalten und ihn um Rat fragen. Verdammt noch mal, auch wenn er mir keinen Rat geben könnte, möchte ich mich doch ganz einfach mit ihm unterhalten. Es ist ein Jammer, daß Menschen wie wir durch eine so tiefe Kluft voneinander getrennt sind. Dann fiel ihm ein, daß sowohl er wie sein Großvater, falls es so etwas wie ein Wiedersehen gäbe, durch die Anwesenheit seines Vaters sehr geniert sein würden. Jeder hat das Recht, es zu tun, dachte er. Aber es ist nicht schön. Ich kann es verstehen, aber es gefällt mir nicht. Lache ist das richtige Wort dafür. Aber du kannst es doch verstehen? Gewiß, ich kann es verstehen, aber! Ja, aber! Man muß schrecklich auf sich selbst eingestellt sein, um so etwas zu machen.
 Teufel noch mal, wenn Großvater bloß hier wäre! dachte er. Wenigstens für eine Stunde. Vielleicht hat er mir das wenige, was ich besitze, durch den andern vererbt, durch den andern, der die Waffe mißbrauchte. Vielleicht ist das die einzige Verbindung zwischen uns beiden. Aber hol's der Teufel! Ja, hol's der Teufel, aber wenn doch der Zeitabstand nicht ein so großer wäre, daß ich von ihm das hätte lernen können, was der andere mir nicht beibringen konnte. Aber wie denn, wenn die Furcht, die er in den vier Jahren Bürgerkrieg und nachher in den Indianerkämpfen hatte durchmachen, beherrschen und schließlich einfach loswerden müssen (obgleich man es in den Indianerkriegen wohl nicht so häufig mit der Angst zu tun bekam), aus dem andern einen cobarde gemacht hat, so wie das fast immer mit den Stierkämpfern der zweiten Generation der Fall ist? Angenommen, es wäre so? Und vielleicht macht der gute Same sich erst wieder richtig geltend, nachdem er diesen andern da passiert hat?
 Ich werde nie vergessen, wie widerlich es mir war, als ich zum erstenmal merkte, daß er ein cobarde war. Los, sag es in deiner Muttersprache. Feigling! Man fühlt sich erleichtert, wenn man es ausgesprochen hat, und was soll es für einen Sinn haben, einen Lumpen nicht einen Lumpen zu nennen, sondern ihm ein fremdsprachiges Wort anzuhängen. Aber er war kein Lump. Er war einfach ein Feigling, und das ist das größte Pech, das einem Menschen widerfahren kann. Wenn er kein Feigling gewesen wäre, hätte er es mit dem Weibsbild aufgenommen und sich nicht von ihr tyrannisieren lassen. Ich möchte wissen, wie ich aussehen würde, wenn er eine andere Frau geheiratet hätte? Das wirst du nie erfahren, dachte er und grinste in sich hinein. Vielleicht hat ihre tyrannische Art mir das mitgegeben, was der andere nicht hatte. Und du! Sei nicht so hastig! Sprich nicht von gutem Samen und solchen Sachen, solange du nicht den morgigen Tag überstanden hast. Nur nicht zu früh rotzig sein! Und du sollst überhaupt nicht rotzig sein. Morgen werden wir sehen, was für ein Same in dir drinsteckt.
 Aber er mußte wieder an seinen Großvater denken.
 »George Custer war kein kluger Reiterführer, Robert«, hatte sein Großvater gesagt. »Er war nicht einmal ein kluger Mensch.«
 Das war ihm wieder eingefallen, als sein Großvater sagte, er könne es nicht leiden, wenn jemand etwas gegen diesen Mann da sage, der in seinem Lederhemd, mit flatternden blonden Locken, den Dienstrevolver in der Hand, auf jenem Hügel stand, während die Sioux von allen Seiten gegen ihn anrückten – auf der alten Lithographie von Anheuser-Busch, die an der

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