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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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lag, sein Kopf baumelte herunter und sein Mund stand offen, und ich hob einen Stuhl auf, stellte ihn gegen einen der Pfeiler und stieg hinauf, so daß ich über die Köpfe der Menge hinwegschauen konnte. Der Mann, den Pablo und Cuatro Dedos nun herausstießen, war Don Anastasio Rivas, ein notorischer Faschist, der dickste Mann in der Stadt. Er war Getreidehändler und Agent einiger Versicherungsgesellschaften, und er lieh auch Geld aus zu hohen Zinsen. Ich stand auf dem Stuhl und sah ihn die Stufen herunterkommen und auf die Reihen zugehen, sein feister Nacken quoll hinten über den Hemdkragen, und sein kahler Kopf schimmerte in der Sonne, aber er kam nicht bis zu den Reihen, denn ein Schrei brach los, nicht so, wie wenn einige Leute schreien, sondern alle schrien auf einmal. Es war ein häßlicher Lärm, es war der Aufschrei der Betrunkenen, die wie aus einer Kehle losbrüllten, und die Reihen lösten sich auf, und alle stürmten auf Don Anastasio zu, und ich sah, wie er sich hinwarf, seinen Kopf mit den Händen schützend, und dann war er nicht mehr zu sehen, denn der Haufen der Männer warf sich auf ihn. Und als sie wieder aufstanden, da war Don Anastasio tot, sie hatten seinen Kopf gegen die Steinfliesen der Arkade geschlagen, und nun gab es überhaupt keine geordneten Reihen mehr, sondern nur noch einen wüsten Pöbelhaufen.
 ›Jetzt gehen wir hinein‹, fingen sie zu schreien an. ›Jetzt gehen wir hinein und holen sie uns.‹
 ›Er ist zu schwer zu tragen.‹ Einer der Leute versetzte dem toten Don Anastasio, der mit dem Gesicht nach unten dalag, einen Fußtritt. ›Soll er hier liegenbleiben!‹
 ›Warum sollen wir dieses Kuttelfaß bis zum Felsen schleppen? Lassen wir ihn hier liegen!‹
 ›Jetzt gehen wir hinein und machen sie drinnen fertig!‹ schrie einer. ›Jetzt gehen wir hinein!‹
 ›Warum sollen wir den ganzen Tag in der Sonne warten?‹ schrie ein anderer. ›Vorwärts! Gehen wir!‹ Die Menge drängte sich nun in die Arkade. Sie schrien und stießen und gaben tierische Laute von sich, und alle schrien jetzt: ›Aufmachen! Aufmachen! Aufmachen!‹, denn als die Linien sich auflösten, hatten die Wachtposten die Türen des Ayuntamiento geschlossen.
 Von meinem Stuhl aus konnte ich durch das vergitterte Fenster in den Saal des Ayuntamiento schauen, und dort drinnen hatte sich gar nichts verändert. Der Pfarrer stand da, und die, die noch übriggeblieben waren, knieten im Halbkreis um ihn herum, und alle beteten. Pablo saß auf dem großen Tisch vor dem Stuhl des Bürgermeisters, die Flinte auf dem Rücken. Seine Beine baumelten über den Tischrand, und er drehte sich eine Zigarette. Cuatro Dedos saß auf dem Stuhl des Bürgermeisters, hatte die Füße auf den Tisch gelegt und rauchte eine Zigarette. Die übrigen Wachtposten saßen auf verschiedenen Amtsstühlen, die Flinten in den Händen. Der Schlüssel zu dem großen Tor lag neben Pablo auf dem Tisch.
 Die Menge schrie: ›Aufmachen! Aufmachen! Aufmachen!‹, als ob es ein Chor gewesen wäre, und Pablo saß da, als ob er nichts hörte. Er sagte etwas zu dem Pfarrer, aber ich konnte nicht hören, was er sagte, weil die Leute so viel Lärm machten.
 Der Pfarrer gab ihm, genau wie vorhin, gar keine Antwort, sondern betete weiter. Weil so viele Leute mich stießen, schob ich den Stuhl dicht an die Wand, stieß ihn vor mir her, so wie sie mich von hinten stießen. Dann stellte ich mich wieder auf den Stuhl, das Gesicht dicht am Fenstergitter, und hielt mich an den Stäben fest. Ein Kerl kletterte neben mir auf den Stuhl und hatte seine Arme um meine Arme gelegt und hielt sich an den breiteren Stäben fest.
 ›Der Stuhl wird zerbrechen‹, sagte ich zu ihm.
 ›Was ist dabei?‹ sagte er. ›Schau sie dir an! Schau, wie sie beten!‹
 Sein Atem in meinem Nacken stank wie der Gestank der Menge, sauer, wie Ausgekotztes auf dem Pflaster und der Gestank der Besoffenen, und dann schob er den Kopf über meine Schulter, legte den Mund ans Gitter und schrie: ›Aufmachen! Aufmachen!‹, und es war, als reite mich das tobende Gesindel, wie einen im Traum der Teufel reitet.
 Jetzt preßte sich die Menge so fest gegen das Tor, daß die, die vorne waren, von den Nachdrängenden fast erdrückt wurden, und vom Platz her kam ein großer, besoffener Kerl im schwarzen Kittel mit einem schwarzroten Tuch um den Hals, nahm einen Anlauf und warf sich in die dichtgedrängte Menschenmasse und fiel auf sie drauf, stand dann auf und lief rücklings zurück und

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