Wem die Stunde schlaegt
militärische Ausdrücke, sie machen die Befehle deutlicher, und es ist besser für die Disziplin.«
»Das ist ein Junge nach deinem Geschmack, Inglés «, sagte Pilar. »Ein sehr ernster Mensch.«
»Soll ich dich tragen?« fragte Joaquín das Mädchen, legte den Arm um ihre Schultern und lächelte ihr ins Gesicht.
»Einmal hat genügt«, sagte Maria. »Schönen Dank auf alle Fälle.«
»Kannst du dich noch erinnern?« fragte Joaquín.
»Ich kann mich erinnern, daß ich getragen wurde, aber nicht, daß du mich getragen hast. Ich erinnere mich an den Zigeuner, weil er mich so oft hat fallen lassen. Aber ich danke dir, Joaquín, und bei Gelegenheit werde ich dich tragen.«
»Ich erinnere mich noch recht gut«, sagte Joaquín. »Ich erinnere mich, wie ich deine Beine gehalten habe, und dein Bauch lag auf meiner Schulter, und dein Kopf hing über meinem Rücken, und deine Arme baumelten an meinem Rücken herab.«
»Du hast ein gutes Gedächtnis«, sagte Maria lächelnd. »Ich kann mich an das nicht mehr erinnern. Weder an deine Arme noch an deine Schulter, noch an deinen Rücken.«
»Soll ich dir etwas sagen?« fragte Joaquín.
»Was denn?«
»Als hinter uns die Schüsse knallten, war ich froh, daß du auf meinem Rücken hingst.«
»So ein Schwein!« sagte Maria. »Und deshalb hat mich auch der Zigeuner so lange getragen?«
»Deshalb, und auch, um dich an die Beine zu fassen.«
»Meine Helden!« sagte Maria. »Meine Retter!«
»Hör zu, guapa «, sagte Pilar zu ihr. »Der Junge da hat dich lange getragen, und wie es damals war, hat keiner sich um deine Beine gekümmert. Da hörten alle nur die Kugeln pfeifen. Und wenn er dich hätte liegen lassen, dann wäre er schneller aus dem Bereich der Kugeln gekommen.«
»Ich habe mich schon bei ihm bedankt«, sagte Maria. »Und bei Gelegenheit werde ich ihn tragen. Laß uns doch ein bißchen scherzen! Ich muß doch nicht weinen, weil er mich getragen hat?«
»Ich hätte dich hingeschmissen«, fuhr Joaquín spottend fort. »Aber ich hatte Angst, daß Pilar mich erschießt.«
»Ich erschieße niemanden«, sagte Pilar.
»No hace falta«, sagte Joaquín. »Das hast du gar nicht nötig. Du erschreckst sie mit deinem Mundwerk zu Tode. Du redest sie tot!«
»Wie sprichst du mit mir?« sagte Pilar. »Und du warst früher ein so höflicher kleiner Junge. Was hast du denn vor der Bewegung gemacht, Bürschchen?«
»Sehr wenig«, erwiderte Joaquín. »Ich war sechzehn.«
»Was denn also?«
»Ein Paar Schuhe von Zeit zu Zeit.«
»Hast du Schuhe gemacht?«
»Nein. Geputzt.«
»¡Qué va!« sagte Pilar. »Das kann nicht alles gewesen sein.« Sie betrachtete prüfend sein braunes Gesicht, seinen geschmeidigen Körper, seinen Haarschopf und seinen schnellen, wiegenden Gang. »Warum ist es dir nicht geglückt?«
»Was denn?« »Was? Du weißt schon, was. Du läßt dir ja wieder den Zopf wachsen.«
»Ich glaube, es war Angst«, sagte der Bursche.
»Du hast eine hübsche Gestalt«, sagte Pilar. »Aber das Gesicht taugt nicht viel. Also Furcht war es, ja? Bei der Zuggeschichte hast du dich gut gehalten.«
»Jetzt fürchte ich mich nicht mehr vor ihnen. Gar nicht mehr. Und wir haben viel schlimmere und gefährlichere Dinge erlebt als die Stiere. Natürlich: kein Stier ist so gefährlich wie ein Maschinengewehr. Aber wenn ich jetzt mit einem Stier im Ring wäre, wüßte ich doch nicht, ob ich meine Beine beherrschen könnte.«
»Er wollte Stierkämpfer werden«, sagte Pilar erklärend zu Robert Jordan. »Aber er hatte Angst.«
»Liebst du die Stiere, Genosse Dynamiter?« Joaquín grinste und zeigte seine weißen Zähne.
»Sehr«, erwiderte Robert Jordan. »Ja, sehr.«
»Hast du sie in Valladolid gesehen?« fragte Joaquín.
»Ja. Im September auf der Feria.«
»Das ist meine Heimatstadt«, sagte Joaquín. »Eine schöne Stadt, aber die buena gente, die anständigen Leute in der Stadt, haben unter diesem Krieg sehr gelitten.« Dann mit ernster Miene: »Sie haben dort meinen Vater erschossen. Und meine Mutter. Und meinen Schwager, und jetzt auch meine Schwester.«
»Die Barbaren!« sagte Robert Jordan.
Wie oft hatte er das schon gehört? Wie oft hatte er Menschen das sagen hören, mühsam, mit etwas stockender Stimme! Wie oft hatte er mitansehen müssen, daß ihre Augen sich mit Tränen füllten und ihre Stimme heiser wurde, weil es ihnen schwerfiel, ›meinen Vater‹ oder ›meine Mutter‹ oder ›meinen Bruder‹ oder ›meine
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