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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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als seine Augen. Er wird ihn schon herunterkriegen, diesen gehörnten Kopf, mit einem Schwung seines linken Armes, mit einem Schwung des nassen, schweren Tuchs, aber jetzt wippt er auf seinen Fersen ein wenig nach hinten und visiert an der Klinge entlang, scharf im Profil vor dem zersplitterten Horn, und die Brust des Bullen wogt, und seine Augen beobachten das Tuch. Sie sieht ihn jetzt sehr deutlich, und sie hört seine dünne, helle Stimme, wie er den Kopf wendet und zu den Zuschauern hinblickt, die in der ersten Reihe des Ringes über der roten Barriere sitzen, und sagt: »Wir wollen sehen, ob wir ihn so töten können!«
 Sie hört die Stimme, und dann sieht sie, wie sein Knie sich beugt und er vorwärtsschreitet und auf das Horn zugeht, das sich wie durch einen Zauber zu senken beginnt, während die Schnauze des Stiers dem tief geschwungenen Tuch folgt, und das schmale braune Handgelenk schwenkt das Tuch vor den Hörnern auf und ab, und der Degen bohrt sich in die bestaubte Kuppe des Widerrists. Sie sieht das schimmernde Eisen langsam und stetig versinken, als ob des Stieres Ansturm es selber in sich hineinfräße und aus des Mannes Hand saugte, und sie sieht, wie es sich hineinbohrt, bis die braunen Knöchel der Hand die straffgespannte Haut berühren, und der kleine braune Mann, dessen Blicke keine Sekunde lang von der Ansatzstelle des Degenstichs gewichen sind, rückt nun mit raschem Schwung den eingezogenen Bauch aus dem Bereich des Hornes, macht einen wiegenden Schritt zurück, steht da, in der linken Hand den Stab mit dem Tuch, die rechte Hand erhoben, und schaut zu, wie der Stier verendet.
 Sie sieht ihn dastehen, und seine Augen beobachten den Stier, wie er versucht, sich aufrecht zu halten, beobachten den Stier, wie er hin und her schwankt, wie ein Baum vor dem Sturz, beobachten den Stier, wie er sich anstrengt, auf den Beinen zu bleiben, und der kleine Mann erhebt die rechte Hand mit der üblichen Siegergebärde. Sie sieht ihn dastehen, schweißbedeckt, erschöpft und erleichtert, daß alles vorbei ist, erleichtert, daß der Stier stirbt, erleichtert, daß nicht das Horn noch im letzten Augenblick zugestoßen hat, als er ihm auswich, und dann, wie er dasteht, kann der Stier sich nicht länger auf den Beinen halten und stürzt hin, wälzt sich im Staub, tot, alle viere in die Luft gereckt, und sie sieht, wie der kleine braune Mann matt und ohne Lächeln zu der Planke hinübergeht.
 Sie weiß, er könnte nicht durch den Ring laufen, auch wenn sein Leben davon abhinge, und sie beobachtet ihn, wie er langsam zu der Planke hingeht und sich den Mund mit einem Handtuch abwischt und zu ihr hinaufblickt, und den Kopf schüttelt, und sich dann das Gesicht mit dem Handtuch abwischt und seinen Siegergang rund um die Arena antritt.
 Sie sieht ihn langsam, schleppenden Schrittes, rund um die Arena schreiten, er lächelt, er verbeugt sich, er lächelt, seine Gehilfen gehen hinter ihm, bücken sich, heben Zigarren auf, werfen Hüte zurück, und er wandert rund um die Arena, mit traurigen Augen und lächelnden Lippen, und gerade vor ihrem Platz ist sein Rundgang zu Ende. Dann schaut sie über die Planke und sieht ihn auf der hölzernen Stufe sitzen, ein Handtuch vor den Mund gepreßt. Das alles sah Pilar, als sie vor dem Feuer stand, und sie sagte: »Er war also kein guter Matador? Mit was für Menschen muß ich jetzt mein Leben verbringen!«
 »Er war ein guter Matador«, sagte Pablo. »Er war nur durch seinen Wuchs behindert.«
 »Und außerdem war er lungenkrank«, sagte Primitivo.
 »Lungenkrank?« sagte Pilar. »Wer würde nicht lungenkrank sein, wenn er so viel durchmachen müßte wie er? In diesem Land, wo ein Armer keine Hoffnung hat, Geld zu verdienen, wenn er nicht ein Verbrecher wird wie Juan March oder ein Stierkämpfer oder ein Operntenor? Warum sollte er nicht lungenkrank sein? In einem Land, wo die Bourgeoisie sich überfrißt, daß sie alle kaputte Mägen haben und ohne Bikarbonat nicht mehr leben können, und die Armen hungern von Geburt an bis zu ihrer Todesstunde, warum sollte er da nicht lungenkrank sein? Wenn du dich in den Dritter-Klasse-Waggons unter der Bank verkrochen hast, um schwarz zu fahren, wenn du als Junge auf die Jahrmärkte gezogen bist, um fechten zu lernen, dort unter den Bänken in dem Staub und Dreck mit der frischen Spucke und der trockenen Spucke, würdest du nicht lungenkrank werden, wenn dann noch die Stierhörner dir die Brust kaputt schlagen?«
 »Sicher«, sagte

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