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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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vorher die Taschentücher benützt hatte.
 Das Bankett hatte nun wirklich schon das Stadium höchster Begeisterung erreicht, und einige der weniger dicken Huren wurden von verschiedenen Klubmitgliedern auf den Schultern im Triumph rund um den Tisch getragen. Pastora ließ sich überreden, etwas zu singen, und El Niña Ricardo spielte Gitarre, und es war sehr rührend und ein Anlaß echter Freude und weinseliger Freundschaft ersten Ranges. Nie habe ich ein Bankett miterlebt, wo es höher herging, so groß war die allgemeine Begeisterung, eine richtige Flamenco-Begeisterung, und dabei waren wir noch gar nicht bei der Enthüllung des Stierkopfes angelangt, die doch schließlich der Anlaß für die ganze Festlichkeit war.
 Ich amüsierte mich so großartig, und ich war so sehr damit beschäftigt, zu Ricardos Spiel in die Hände zu klatschen und die nötigen Leute zusammenzutrommeln, die den Gesang der Niña de los Peines mit Händeklatschen begleiten sollten, daß ich gar nicht merkte, daß Finito jetzt auch schon seine Serviette vollgespuckt hatte und daß er nun meine benützte. Er trank noch mehr Manzanilla, und seine Augen glänzten, und er nickte allen sehr vergnügt zu. Er konnte nicht viel reden, weil er ja während des Redens alle Augenblicke vielleicht seine Serviette hätte benützen müssen, aber er erweckte den Eindruck, daß er sehr gut gelaunt war und sich gut amüsierte, und dazu war er ja schließlich da.
 Das Bankett ging also weiter, und mein Nachbar, der neben mir saß, war früher einmal Manager von Rafael el Gallo gewesen, und er erzählte mir eine Geschichte, und die Geschichte endete so: ›Also, Rafael kam zu mir und sagte: ,Du bist der beste Freund, den ich auf der Welt habe, und der edelmütigste. Ich liebe dich wie einen Bruder, und ich möchte dir ein Geschenk machen...' Und so gab er mir eine wunderschöne Brillantnadel und küßte mich auf beide Wangen, und wir waren beide sehr gerührt. Dann verließ Rafael el Gallo, nachdem er mir die Diamantnadel geschenkt hatte, das Café, und ich sagte zu Retana, die mit am Tisch saß: ,Dieser dreckige Zigeuner hat soeben mit einem anderen Manager Vertrag gemacht...' ,Was meinst du damit? ' fragte Retana.
 ,Zehn Jahre lang habe ich ihn gemanagt, und nie hat er mir etwas geschenkt... Es kann nichts anderes bedeuten...!'‹
 Ja, und es stimmte auch wirklich, und so verließ ihn el Gallo.
 Aber in diesem Augenblick mischte die Pastora sich in die Unterhaltung ein, vielleicht nicht so sehr, um den guten Ruf Rafaels zu verteidigen, denn es hat sich doch kein Mensch abfälliger über ihn geäußert als sie selbst, sondern weil der Manager die Zigeuner beleidigt hatte, indem er sagte: ›Dreckiger Zigeuner.‹ Sie mischte sich so energisch ein und mit solchen Ausdrücken, daß der Manager sofort verstummte. Ich mischte mich ein, um die Pastora zu beruhigen, und eine andere gitana mischte sich ein, um mich zu beruhigen, und der Lärm war so groß, daß man die Worte, die fielen, gar nicht verstehen konnte, außer das eine große Wort Hure, das alle anderen Worte übertönte, bis schließlich wieder Ruhe eintrat und wir drei, die wir uns eingemischt hatten, dasaßen und in unsere Gläser starrten, und da merkte ich plötzlich, daß Finito mit entsetzter Miene den Stierkopf anstarrte, der immer noch in das rote Tuch eingewickelt war.
 Und in diesem Augenblick fing der Vorsitzende des Klubs mit der Rede an, die der Enthüllung des Kopfes vorangehen sollte, und während der ganzen Rede, die mit Olé-Rufen und Faustschlägen auf den Tisch begrüßt wurde, beobachtete ich Finito, der seine, nein, meine Serviette benützte und immer tiefer in seinen Stuhl versank und voller Entsetzen und wie gebannt den verhüllten Stierkopf an der gegenüberliegenden Wand anstarrte. Gegen das Ende der Rede zu begann Finito den Kopf zu schütteln, und er kauerte sich immer tiefer in den Stuhl zurück.
 ›Wie fühlst du dich, Kleiner?‹ sagte ich zu ihm, aber als er mich ansah, erkannte er mich nicht und schüttelte nur den Kopf und sagte: ›Nein, nein, nein.‹
 Der Vorsitzende des Klubs war nun mit seiner Rede zu Ende, und dann, während alle Bravo schrien, stieg er auf einen Stuhl und langte hinauf und löste die Schnur, die das rote Tuch über dem Stierkopf zusammenhielt, und zog das Tuch von dem Kopf weg, und es blieb an einem der Hörner hängen, und er riß es los, und da wurden nun die scharfpolierten Hörner sichtbar und der große gelbe Bullenkopf mit den

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