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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Primitivo. »Ich habe nur gesagt, daß er lungenkrank war.«
 »Natürlich war er lungenkrank«, sagte Pilar. Sie stand da und hielt den großen, hölzernen Kochlöffel in der Hand. »Er war klein gewachsen und hatte eine dünne Stimme und fürchtete sich vor den Stieren. Nie habe ich einen Menschen gesehen, der sich vorher, vor dem Kampf, so schrecklich gefürchtet hat, und nie einen Menschen, der sich in der Arena weniger gefürchtet hätte. Du!« sagte sie zu Pablo. »Du hast jetzt Angst vor dem Sterben. Du glaubst, daß das wichtig ist. Aber Finito hat sich ununterbrochen gefürchtet, und im Ring war er wie ein Löwe.« »Er stand in dem Ruf, sehr tapfer zu sein«, sagte der zweite der Brüder.
 »Nie habe ich einen Menschen gekannt, der sich so gefürchtet hat«, sagte Pilar. »Er duldete nicht einmal einen Stierkopf im Haus. Einmal, auf der Feria in Valladolid, tötete er sehr schön einen Stier von Pablo Romero –«
 »Ich erinnere mich«, sagte der erste der Brüder. »Ich war dabei. Es war ein seifenfarbener, mit lockiger Stirn und hochsitzenden Hörnern. Ein Stier von über dreißig arrobas. Es war der letzte Stier, den er in Valladolid tötete.«
 »Richtig«, sagte Pilar. »Und hinterher ließ der Enthusiastenklub, der im Café Colón zusammenkam und sich nach Finito benannt hatte, den Kopf des Stieres aufmontieren und schenkte ihn Finito auf einem kleinen Bankett im Café Colón. Während des Essens hing der Kopf an der Wand, aber er war mit einem Tuch zugedeckt. Ich saß mit am Tisch, und es waren noch andere mit dabei. Pastora, die noch häßlicher ist als ich, und die Niña de los Peines und noch ein paar andere Zigeunerinnen und Huren erster Kategorie. Es war ein kleines Bankett, aber es ging sehr lebhaft zu, und fast wäre es zu einer Schlägerei gekommen, weil Pastora und eine der berühmtesten Huren sich wegen einer Eigentumsfrage miteinander zankten. Ich selbst war mehr als glücklich, und ich saß neben Finito, und ich merkte, daß er um keinen Preis zu dem Stierkopf hinaufschauen wollte, der in ein purpurrotes Tuch gewickelt war wie die Heiligenstatuen in der Kirche während der Leidenswoche unseres früheren Herrn.
 Finito aß nicht viel, weil er einen palotazo abgekriegt hatte, einen flachen Hieb mit dem Horn, als er bei seiner letzten Corrida des Jahres in Zaragoza dem Stier den Todesstoß versetzte, und er war eine Zeitlang bewußtlos gewesen, und jetzt konnte sein Magen noch immer nicht das Essen behalten, und ab und zu während des Banketts hielt er das Taschentuch vor den Mund und spuckte ein bißchen Blut hinein. Was wollte ich euch erzählen?« »Von dem Stierkopf«, sagte Primitivo. »Von dem ausgestopften Stierkopf.«
 »Ja«, sagte Pilar. »Ja. Aber ich muß gewisse Einzelheiten erzählen, damit ihr alles versteht. Finito war nie sehr lustig, wißt ihr. Er war von ernstem Wesen, und ich habe nie erlebt, daß er über irgend etwas gelacht hätte, wenn wir allein waren. Nicht einmal über wirklich komische Dinge. Er nahm alles sehr ernst. Er war fast so ernst wie Fernando. Aber das Bankett war nun einmal von den aficionados, die sich zu dem Klub Finito zusammengefunden hatten, für ihn veranstaltet worden, und er mußte nach außen hin heiter und freundlich und lustig erscheinen. Er lächelte also während des ganzen Essens und sagte ab und zu etwas Freundliches, und nur ich bemerkte, was er mit dem Taschentuch machte. Er hatte drei Taschentücher bei sich, und er spuckte alle drei voll, und dann sagte er zu mir mit ganz leiser Stimme: ›Pilar, ich kann das nicht länger aushalten. Ich glaube, ich muß gehen.‹
 ›Dann wollen wir gehen‹, sagte ich. Denn ich sah, daß er sehr litt. Alle die Anwesenden waren jetzt schon in sehr heiterer Laune, und es herrschte ein schrecklicher Lärm.
 ›Nein, ich kann nicht weg‹, sagte Finito zu mir. ›Schließlich ist der Klub nach mir benannt, und ich habe meine Verpflichtungen.‹
 ›Wenn du dich schlecht fühlst, wollen wir gehen‹, sagte ich.
 ›Nein‹, sagte er. ›Ich bleibe. Gib mir etwas von diesem Manzanilla.‹
 Ich fand es nicht klug von ihm, Wein zu trinken, weil er nichts gegessen hatte und weil er mit seinem Magen solche Zustände hatte, aber er konnte offenbar die Lustigkeit und das Geschrei und den Lärm nicht mehr aushalten, ohne etwas zu sich zu nehmen. Ich schaute ihm also zu, wie er ganz schnell fast eine ganze Flasche Manzanilla austrank. Er benützte jetzt seine Serviette für den Zweck, für den er

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