Wen das Feuer verbrennt (German Edition)
köstlich über den manchmal treffenden, manchmal beißenden und
manchmal sogar sehr derben Humor der beiden Männer.
Sie
musste ihr ursprüngliches Bild von Nicolas Eden komplett revidieren.
Er war kein griesgrämiger, blinder Einsiedlerkrebs, der sich
geächtet und verletzt von der Gesellschaft auf sein Gut
zurückgezogen hatte und abends einsam aus seiner Höhle kroch. Im
Gegenteil, sie hatte eher den Eindruck, dass der Duke dieses Leben
sehr bewusst und freiwillig gewählt hatte und es auch genoss! Er war
meist gut gelaunt, frei von jeglichen Zwängen, konnte tun und lassen
was er wollte, mit genauso viel Kontakt zur Londoner Gesellschaft wie
er für seine Geschäfte benötigte. Allen Unkenrufen zum Trotz
ächtete ihn die Londoner High Society in keinster Weise! Im
Gegenteil. Jede Woche flatterten regelmäßig Einladungen zu
gesellschaftlichen Empfängen und Soirees ins Haus, die der Duke aber
abfällig „Drachenköder“ nannte.
„ Wie
meint Ihr das?“ hatte ihn Ravenna eines Tages neugierig gefragt.
„ Merkt
Euch eines, Sir Raven. Haltet Euch von alten Weiberdrachen fern! Sie
haben nur ein Ziel: Junge, dumme Ehemänner für ihre schrecklichen
Töchter zu ködern! Dann seid Ihr verloren und werdet mit Haut und
Haar verschlungen!“ In seinen grau-blauen Augen blitzte es
vielsagend auf.
„ Aha,
gebranntes Kind scheut das Feuer....!“ dachte Ravenna nur, konnte
sich ein Schmunzeln bei dieser Art von Erklärung aber nicht
verkneifen. Brav schrieb sie die Absage, die der Duke ihr in die
Feder diktierte.
Kapitel
9
Eines
Morgens war Ravenna noch früher auf als gewöhnlich. Die Tage wurden
langsam länger und der Sommer näherte sich mit großen Schritten.
Als sie an diesem Morgen ihre schweren Samtvorhänge vor ihrem
Fenster zurückzog bot sich ihr ein ungewöhnlicher Anblick. Keine
zwanzig Meter von ihr entfernt stand der Duke. Breitbeinig, den
nackten Rücken Ravenna zugewandt. Er war nur mit einer bequemen Hose
bekleidet, Oberkörper, Arme, Beine und Füsse waren trotz des noch
kühlen Morgens nackt. Ravennas Blick wanderte über seinen
schlanken, sehnigen Körper, den die aufgehende Morgensonne in
rötlich-warmes Licht tauchte.
Er
vollführte seltsame Bewegungen. Seine sehnigen Arme glitten
schlangenartig durch die Luft, sein muskulöser Oberkörper bog sich
elastisch nach links und rechts während seine Beine immer wieder die
Position wechselten.
Ravenna
kannte dieses Ritual. Die alten indischen Yogi-Priester machten
ähnliche Meditationsübungen bei Sonnenaufgang. Sie brachten mit
diesen langsamen, dehnenden und immer wiederkehrenden Bewegungen
Körper, Geist und Seele in Einklang.
Mit einem Mal wurde
Ravenna auch klar, wofür die seltsamen Holzpflöcke und
Seilkonstruktionen waren, die in der Nähe standen und ihr seit ihrer
Ankunft Rätsel aufgegeben hatten. Wahrscheinlich waren es
irgendwelche Übungsgeräte für den Duke.
Wie um ihre Vermutung zu
bestätigen, schwang sich der Duke plötzlich auf einen der
Holzpflöcke und bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit von
einem zum anderen. Die Pflöcke waren verschieden hoch und standen in
unterschiedlichen Abständen zueinander. Der Duke sprang in
atemberaubender Geschwindigkeit von einem zum anderen. Seine Füße
verweilten kaum länger als eine Sekunde auf einem Pfahl. Ravenna
traute ihren Augen kaum. Die Pflöcke waren oben kaum breiter als die
Innenfläche ihrer Hand. Für einen Sehenden wäre es schon schwierig
von einem Pflock zum anderen zu springen - ohne dabei abzustürzen!
Wie schwierig musste es dann erst für einen Blinden sein?
Der Duke erhöhte von mal
zu mal die Geschwindigkeit und als er plötzlich in den Handstand
ging und von einem Pflock zum anderen wanderte, stockte Ravenna der
Atem. Das konnte man ja nicht mit ansehen, wie bodenlos leichtsinnig
dieser Mann war. Er musste nur einmal daneben greifen und er würde
bei lebendigem Leib gepfählt!
Das wollte sie nicht mit
ansehen. Sie schloss die Augen und als sie sie nach ein paar Sekunden
doch wieder öffnete stand ein breit grinsender Nicolas Eden vor
ihrem Fenster:
„Wollt' Ihr es auch
einmal probieren?“ rief er ihr zu.
Ravenna schüttelte den
Kopf, bemerkte dann aber, dass er sie ja nicht sehen konnte. Also
öffnete sie das Fenster und sagte trocken:
„Nein vielen Dank, ich
hänge an meinem Leben!“
Der Duke legte den Kopf
in den Nacken und lachte sein heißeres, kehliges Lachen.
„Glaubt mir Sir Raven,
es ist einfacher als Ihr denkt. Mit etwas Übung
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