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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Tritt in den Hintern auf die Straße befördert. Und Dick Gansey II. hatte seinem Sohn unmissverständlich klargemacht, dass er ihn, wenn er an der Privatschule versagte, aus seinem Testament streichen würde.
    Natürlich hatte er das, bei einem Teller Fettuccine, etwas netter formuliert.
    Gansey konnte nicht schwänzen. Nicht, nachdem er schon am Vortag nicht in der Schule gewesen war. So war es nun mal. Noch vierzehn Minuten für die fünfzehnminütige Fahrt zur Schule und Adam war immer noch nicht da.
    Er spürte, wie die alte Angst langsam aus seiner Lunge emporkroch.
    Keine Panik. Gestern bei Ronan hast du auch falschgelegen. Du musst damit aufhören. Der Tod ist nicht so nah, wie du denkst.
    Entmutigt versuchte Gansey ein letztes Mal, Adam anzurufen. Nichts. Er musste los. Adam hatte bestimmt das Fahrrad genommen, bestimmt musste er arbeiten, bestimmt hatte er viel um die Ohren und vergessen, ihm Bescheid zu sagen. Auf dem zerfurchten Pfad zur Siedlung war nichts zu sehen.
    Komm schon, Adam.
    Er wischte sich die Hände an der Hose ab, dann legte er sie wieder aufs Lenkrad und machte sich auf den Weg zur Schule.
    Gansey bekam erst in der dritten Stunde, in der sie zusammen Latein hatten, die Gelegenheit, zu sehen, ob Adam es zur Schule geschafft hatte. Unerklärlicherweise war dies das einzige Fach, in dem Ronan nie eine Stunde verpasste. In Latein war Ronan Klassenbester. Dafür paukte er freudlos, aber unablässig, als hinge sein Leben davon ab. Direkt nach ihm folgte Adam, Aglionbys Musterschüler, der ansonsten in jedem Fach ganz vorn war. Genau wie Ronan lernte auch Adam unablässig, denn sein zukünftiges Leben hing tatsächlich davon ab.
    Gansey selbst war Französisch lieber. Helen gegenüber behauptete er immer, es sei sinnlos, eine Sprache zu lernen, mit der man keine Speisekarte lesen könne, aber in Wahrheit fiel ihm Französisch einfach leichter; seine Mutter sprach auch ein paar Brocken. Ursprünglich hatte er sich wohl oder übel für Latein entschieden, um historische Texte für seine Suche nach Glendower übersetzen zu können. Da jedoch Ronan darin so brillierte, brauchte Gansey sich nicht mehr sonderlich anzustrengen.
    Der Lateinunterricht fand in Borden House statt, einem kleinen Fachwerkhaus am anderen Ende des Aglionby-Campus, gegenüber von Welch Hall, dem Hauptgebäude. Als Gansey über die Rasenfläche in der Mitte hastete, erschien plötzlich Ronan und boxte ihm in den Arm. Seine Augen sahen aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen.
    »Wo ist Parrish?«, zischte Ronan.
    »Er ist heute nicht mit mir gekommen«, antwortete Gansey mit einem zunehmend flauen Gefühl im Magen. Ronan und Adam hätten in der zweiten Stunde gemeinsam Unterricht gehabt. »Du hast ihn also noch nicht gesehen?«
    »Bis jetzt nicht.«
    Jemand trat von hinten an Gansey heran, versetzte ihm einen Schlag aufs Schulterblatt und rief »Gansey-Man!«, bevor er weitertrottete. Halbherzig hob Gansey drei Finger – das Zeichen der Rudermannschaft.
    »Ich hab versucht, ihn zu Hause anzurufen«, sagte er.
    »Tja, unser armer Schlucker braucht echt ein Handy«, erwiderte Ronan.
    Vor ein paar Monaten hatte Gansey angeboten, Adam ein Handy zu kaufen, und damit ihren bisher längsten Streit ausgelöst, eine Woche Schweigen, die nur geendet hatte, weil Ronan etwas Übleres angestellt hatte, als sie beide je zustande gebracht hätten.
    »Lynch!«
    Gansey wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ronan nicht. Der zugehörige Sprecher stand auf dem Rasen, war jedoch schwer zu identifizieren in der ewig gleichen Aglionby-Uniform.
    »Lynch!«, ertönte es wieder. »Dich mach ich fertig!«
    Ronan sah sich immer noch nicht um. Er schob den Riemen seiner Tasche höher und marschierte unbeeindruckt weiter.
    »Was will der denn?«, erkundigte sich Gansey.
    »Manche Leute sind einfach schlechte Verlierer«, antwortete Ronan.
    »War das Kavinsky? Jetzt sag nicht, du bist wieder Rennen gefahren.«
    »Dann frag nicht.«
    Gansey überlegte, ob er Ronan wohl so etwas wie eine Ausgangssperre erteilen konnte. Oder ob er mit dem Rudern aufhören sollte, um freitags mehr Zeit für ihn zu haben – denn das konnte der einzige Tag gewesen sein, an dem sich Ronan mit dem BMW Ärger eingehandelt hatte. Vielleicht konnte er Ronan ja überzeugen …
    Wieder schob Ronan den Riemen seiner Tasche zurecht und diesmal warf Gansey einen genaueren Blick darauf. Sie war deutlich größer als die, die er normalerweise dabeihatte, und er

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