Wen der Rabe ruft (German Edition)
ist sie «, erklang Helens Stimme direkt in Ganseys Ohren. Sie alle trugen Headsets, um über dem unablässigen Lärm der Rotorblätter und des Motors miteinander reden zu können. »Ganseys große Liebe.«
Ronans Schnauben war kaum zu vernehmen, aber Gansey hatte es oft genug gehört, um zu wissen, dass es da war.
»Die muss ja geradezu riesig sein, wenn man sie von hier oben sehen kann«, bemerkte Blue.
»Henrietta«, sagte Helen. Sie spähte nach links und drehte ein. »Die beiden wollen heiraten. Nur das Datum steht noch nicht fest.«
»Wenn du dich weiter über mich lustig machst, schmeiße ich dich raus und fliege selbst«, bemerkte Gansey von seinem Platz neben ihr. Was keine ernst zu nehmende Drohung war. Nicht nur weil er Helen aus dieser Höhe kaum rauswerfen konnte, sondern weil er ohne sie auch gar nicht fliegen durfte. Und um ehrlich zu sein, war er trotz mehrerer Flugstunden auch kein besonders guter Hubschrauberpilot. Ihm fehlte einfach die nicht ganz unwichtige Fähigkeit, sich sowohl vertikal als auch horizontal orientieren zu können, was zu Meinungsverschiedenheiten mit Bäumen führen konnte. Er tröstete sich mit der Gewissheit, dass er dafür sehr gut rückwärts einparken konnte.
»Hast du schon ein Geburtstagsgeschenk für Mom?«, fragte Helen.
»Ja«, antwortete Gansey. »Mich.«
Helen sagte: »Oh, toll. Davon hat sie auch nach Jahren noch was.«
Er entgegnete: »Ich bin ja der Meinung, dass minderjährige Kinder ihren Eltern keine Geschenke machen müssen. Immerhin bin ich von ihnen abhängig, also wäre es sowieso ihr eigenes Geld.«
»Du und abhängig!«, schnaubte seine Schwester amüsiert. Ihr Lachen klang wie das einer Zeichentrickfigur: Ha ha ha ha! Es war ein einschüchternder Laut, der Männer fürchten ließ, der Auslöser dafür zu sein. »Du bist von niemandem mehr abhängig, seit du vier Jahre alt warst. Du bist direkt vom Kindergartenkind zum alten Mann mit Filzpantoffeln geworden.«
Gansey winkte nur ab. Seine Schwester war bekannt für ihre Neigung zu Übertreibungen. »Und was hast du für sie?«
»Das ist eine Überraschung«, erwiderte Helen stolz und legte mit einem rosa lackierten Fingernagel einen Kipphebel um. Dieses Rosa war das einzig Verspielte an ihr. Helen war auf eine Weise schön, wie es auch ein Supercomputer war: schmal und elegant, aber zweckmäßig, vollgestopft mit erstklassigem technischem Know-how und für die meisten Menschen unerreichbar.
»Das heißt, es ist was aus Glas.«
Mit derselben Besessenheit, mit der Gansey Fakten über Glendower nachjagte, sammelte seine Mutter seltene bemalte Glasteller. Ihm selbst wollte sich nicht so recht der Reiz eines Tellers erschließen, der nie seiner ursprünglichen Bestimmung gemäß eingesetzt wurde, aber die Kollektion seiner Mutter war bereits in Zeitschriften abgebildet worden und höher versichert als das Leben seines Vaters, also war sie mit ihrer Leidenschaft ganz offensichtlich nicht allein.
Helens Miene war wie versteinert. »Halt bloß die Klappe. Du hast schließlich gar kein Geschenk.«
»Ich hab doch überhaupt nichts gesagt!«
»Doch, du hast gesagt, es ist was aus Glas.«
»Na und?«, fragte er. »Ist es doch auch.«
»Eben nicht. Sind die Dinger nämlich gar nicht alle. Ich hab einen für sie, der nicht aus Glas ist.«
»Dann wird er ihr nicht gefallen.«
Helens Miene versteinerte noch mehr. Sie warf einen finsteren Blick auf ihr GPS. Gansey wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie viel Zeit sie wohl in die Suche nach dem Teller, der nicht aus Glas war, investiert hatte. Er sah es nicht gern, wenn eins der beiden weiblichen Mitglieder seiner Familie verstimmt war; das konnte die schönsten Mahlzeiten ruinieren.
Helen schwieg immer noch, also begann Gansey, über Blue nachzudenken. Irgendetwas an ihr brachte ihn aus dem Konzept, auch wenn er nicht sagen konnte, was es war. Er holte ein Minzeblatt aus der Tasche, steckte es sich in den Mund und blickte auf die vertrauten Straßen von Henrietta hinunter. Aus der Luft gesehen wirkten die Kurven weit weniger gefährlich als im Camaro. Was war das nur mit Blue? Adam schien ihr nicht zu misstrauen, dabei misstraute er doch sonst jedem. Aber er war offensichtlich auch verschossen in sie. Und auch das war fremdes Terrain für Gansey.
»Adam«, sagte er. Als er keine Antwort bekam, warf Gansey einen Blick über die Schulter. Adams Kopfhörer hing nutzlos um seinen Hals; gerade beugte er sich über Blue und deutete auf irgendetwas in
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