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Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Titel: Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Haut an der Innenseite von Doms Handgelenken zogen. »Mehr auf der linken als auf der rechten Seite.War er Rechtshänder?«
    Kincaid dachte an ihre Vernehmungen zurück und erinnerte sich, wie Dom immer wieder die Hand gehoben hatte, um an
seinem Hemd zu nesteln oder sich die Haare aus der Stirn zu streichen. »Ich glaube, ja. Narben von halbherzigen Selbstmordversuchen?«
    »Ja. Mal sehen, was wir noch finden.« Sie schob den linken Ärmel bis zum Ellbogen hoch. An der Innenseite von Dom Scotts Arm war eine Reihe violetter Male zu erkennen, manche schon zu Narben verblasst, andere so frisch, dass die Einstiche noch zu sehen waren. »Und auf der rechten Seite ist es das Gleiche«, sagte Kate, als sie den anderen Ärmel hochschob. »Es würde mich nicht wundern, wenn wir auch an den Oberschenkeln Spuren finden würden, und überall sonst, wo er eine Stelle für die Nadel finden konnte.« Sie blickte zu Kincaid auf. Ihre Miene war jetzt hart, ohne jede Spur von Humor. »Dieser Junge hätte dringend Hilfe nötig gehabt.«
     
    Gavin Hoxley wurde am nächsten Tag mit allen polizeilichen Ehren auf dem Brompton Cemetery beigesetzt. Erika hatte die Anzeige in der Times entdeckt und dabei zum ersten Mal sein Geburtsdatum, die Namen seiner bereits verstorbenen Eltern und die seiner Frau und seiner Kinder gelesen. Natürlich hieß es in allen Berichten, sein Tod sei ein Unfall gewesen, und sie erinnerte sich mit bitterer Ironie an die Bemerkung des Superintendent, dass das Dezernat sich um seine eigenen Leute kümmerte.
    Die große Zahl der Trauergäste gestattete Erika, sich unbemerkt im Hintergrund zu halten. Das schöne Maiwetter hielt unvermindert an, und Gavin Hoxleys Witwe – Linda war ihr Name – trug ein schwarzes Leinenkleid und einen Hut, den Erika bewundert hätte, als sie zu Beginn des Krieges in der Hutabteilung von Whiteley’s gearbeitet hatte. Die Kinder, ein Junge und ein Mädchen, wirkten schwerfällig und träge, als hätten sie von ihrem Vater weder das gute Aussehen noch jenes gewisse Etwas geerbt, das ihn von der Masse abgehoben hatte.
    Zu jeder anderen Zeit hätte Erika sich für diesen Gedanken gescholten, aber an diesem Tag war es ihr egal. Sie sah zu, wie die trauernde
Witwe, links und rechts gestützt von einem älteren Paar, bei dem es sich um ihre Eltern handeln musste, eine Schaufel voll Erde auf den Sarg warf, und sie empfand dabei nicht einen Funken Mitleid.
    Denn Linda Hoxley würde darüber hinwegkommen, sie würde wieder heiraten, vielleicht sogar noch weitere Kinder bekommen.
    Für einen kurzen Moment, während Erika beobachtete, wie die Kinder dem Beispiel ihrer Mutter folgten, flammte eine irre Hoffnung in ihr auf – vielleicht trug sie ja Gavins Kind unter dem Herzen.Aber der Gedanke verflog so schnell, wie er gekommen war. Sie war zu stark geschädigt durch das, was ihr widerfahren war. Das hatten die Ärzte ihr schon während der ersten Wochen in England gesagt, und obwohl sie nie die Gelegenheit bekommen hatte, ihre Diagnose zu überprüfen, hatte sie keine Zweifel an ihrer Richtigkeit.
    Und morgen würde sie ihren eigenen Mann begraben müssen. Die Polizei hatte Davids Leichnam freigegeben, und sie hatte eine Trauerfeier und ein Grab auf dem jüdischen Friedhof von Willesden bestellt. Aber morgen würde sie sich nicht minder fehl am Platz fühlen als hier, wo sie dem christlichen Begräbnis eines Mannes beiwohnte, den sie für einen Tag geliebt hatte.
    Ihr Vater war kein praktizierender Jude gewesen. Er hatte geglaubt, dass es seinen Geschäftsaussichten schaden würde, wenn er »zu jüdisch« wäre. Und doch hatte es am Ende nicht den geringsten Unterschied gemacht, wie jüdisch er tatsächlich gewesen war.
    Und David – David war überzeugt gewesen, dass sein Gott ihn im Stich gelassen hatte, ihn und sie alle miteinander – welcher vernünftige Gott würde schließlich zulassen, dass sechs Millionen Juden starben? Und David war ein Vernunftmensch gewesen.
    Erika sah zu, wie die Zeremonie sich dem Ende zuneigte und die Trauergäste sich zerstreuten. Sie registrierte, wie der kräftige, rothaarige Francis Tyrell sie mit einem Blick streifte, als er sie zwischen den Grabsteinen im Hintergrund entdeckte, doch nach kurzem Zögern wandte er sich ab und folgte seinen Kollegen.
    Und als sie alle gegangen waren, machten die Totengräber sich daran,
die Erde wieder in die Grube zu schaufeln, die sie ausgehoben hatten. Erika ließ sich auf das Gras niedersinken und begann das wuchernde

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