Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
über das Revers seines Jacketts – eine vergebliche Übung. Als er in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen war, hatte er Jacke, Hemd und Hose achtlos über einen Stuhl geworfen, ohne einen Gedanken an Knitterfalten zu verschwenden.
Und als er dann ins Bett gestiegen war, hatte er feststellen müssen, dass die kleine Entspannung in seinem Verhältnis zu Linda, die sie am früheren Abend erreicht hatten, wieder verflogen war – sie hatte sich von ihm weggedreht und war bedenklich nahe an die Bettkante gerückt, und die Zentimeter zwischen ihnen waren ihm so kalt und gefahrvoll erschienen wie das Niemandsland zwischen den Fronten.
Als er sich ein paar Stunden später aus einem unruhigen Schlaf mühsam aufraffte, hatte sie kein Wort gesprochen, obwohl er an ihrem Atem erkannt hatte, dass sie wach war. Um die Kinder nicht zu wecken, hatte er sich gegen ein Bad entschieden und sich nur flüchtig gewaschen und rasiert, und erst als er in den Rückspiegel seines Wagens geschaut hatte, waren ihm die Stellen am Kinn aufgefallen, die er übersehen hatte. Es war nur passend, dachte er, dass er aussah wie ein Überlebender eines Bombenangriffs.
»Ich hatte eine kurze Nacht«, fuhr er achselzuckend fort. »Und ich habe keinerlei Informationen über das Opfer.Was können Sie mir sonst noch sagen, Doc?« Bei der gründlichen Durchsuchung des Parks gleich bei Tagesanbruch hatten sie weder die Tatwaffe noch irgendwelche persönlichen Gegenstände des Opfers finden können, und keiner der Anwohner
wollte den Mann gekannt oder irgendetwas Ungewöhnliches beobachtet haben.
Rainey drehte die Handflächen des Opfers nach oben. »Keine Abwehrverletzungen – ich würde also sagen, er hat seinen Mörder gekannt, oder der Mörder hat sich ihm so genähert, dass er ihn vollkommen überraschte.« Mit einem behandschuhten Finger fuhr er die Ränder der Wunde in der linken Rumpfseite nach, direkt unterhalb des Brustkorbs. »Ich schätze, das hier war der erste Stich, und der war auch gleich tödlich.Von unten nach oben direkt ins Herz – sehr wahrscheinlich hat der Täter das nicht zum ersten Mal gemacht. Diese anderen Stiche« – seine Finger strichen über vier weitere dunkle Schlitze in der weißen Haut – »könnten ihm beigebracht worden sein, um die Zielgerichtetheit des ersten zu kaschieren, oder vielleicht ist unser Täter auch in Rage geraten.«
»Sie sagen immer ›er‹ – dann nehmen Sie also an, dass es ein Mann war?«
»Bloß die Macht der Grammatik«, entgegnete Rainey und schüttelte den Kopf. »Es könnte auch eine Frau gewesen sein – sie musste nur wissen, wie sie das Messer zu führen hatte, und kräftige Oberarmmuskeln haben. Sie hätte außerdem das Überraschungsmoment nutzen können. Dennoch...« Rainey inspizierte die Wunden. »Ich tippe auf einen ehemaligen Soldaten. Das würde sein Wissen über die Technik erklären, und das Messer.«
Hoxley wartete mit hochgezogenen Brauen – er wusste, dass Rainey seine Enthüllungen gerne spannend machte.
»Sie wollen sicher wissen, was für eine Waffe benutzt wurde?«
»Also, dann erzählen Sie mir mal was über das Messer«, gab Hoxley nach.
Rainey lächelte und ließ dabei sein weißes, ebenmäßiges Gebiss sehen. »Eine breite, beidseitig geschliffene Klinge mit einem ausgeprägten Handschutz.Wenn Sie genau hinschauen, können Sie die Einkerbung erkennen, die er auf der Haut hinterlassen hat.«
Hoxley folgte dem ausgestreckten Finger des Rechtsmediziners und
sah – nichts. Rainey musste wohl bessere Augen haben als er. Dennoch nickte er zustimmend, um den Informationsfluss nicht zu unterbrechen.
»Meine Vermutung ist, dass es sich um ein Jagdmesser handelt, oder wahrscheinlicher – in Anbetracht des Tatorts – ein Kampfmesser.«
»Aha. In der Nähe des Royal Hospital. Daher Ihre Vermutung, dass der Täter ein ehemaliger Soldat sein könnte.« Hoxley zog die Stirn in Falten. »Sauber kombiniert – aber ich misstraue nun mal allzu sauberen Lösungen.«
»Wollen wir wetten?«
»Ich gebe Ihnen ein Bier aus, wenn Sie richtigliegen«, erwiderte Hoxley. »Viel mehr ist bei meinem Gehalt nicht drin. Sonst noch irgendetwas, was Sie mir aufgrund der äußeren Untersuchung sagen können?« Er hatte nicht vor, der Sektion beizuwohnen – Rainey konnte ihm später einen Bericht über den Zustand der inneren Organe des Opfers schicken.
»Die Hände sind weich, aber er hat eine Schwiele an der Seite des rechten Zeigefingers, wahrscheinlich vom Halten eines
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