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Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Titel: Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Füllfederhalters. Und seine Zähne – das ist nicht die Arbeit eines englischen Zahnarztes. Vielleicht osteuropäisch.«
    »Wir haben es also mit einem einigermaßen wohlgenährten weißen Mann zu tun, der des Schreibens mächtig und möglicherweise Jude war. Vielleicht stammte er sogar aus Osteuropa.Vielen Dank, Doc.«
    »Höre ich da einen sarkastischen Unterton heraus, Inspector?« Rainey wirkte gekränkt. »Was haben Sie denn erwartet – dass der arme Kerl seinen Namen in sein Geschlechtsteil eintätowiert hat?«
    »Interessanter ist wohl, dass er keineTätowierung am Unterarm hat«, entgegnete Hoxley. »Dieser Mann war nie in einem KZ.«
     
    Der Tag brach mit strahlend blauem Himmel an, doch er brachte Erika keine Entspannung. Sie hatte eine unruhige Nacht gehabt, hatte fröstelnd unter der Daunendecke und einer zusätzlichen Wolldecke gelegen, trotz der milden Temperaturen, und immer
wieder war ihr Schlaf von verworrenen Träumen unterbrochen worden, von denen am Morgen nichts als ein beklemmendes Gefühl in der Brust zurückblieb.
    Sie lag im Bett und dachte nach, bis die Sonne, die durch das Gartenfenster schien, über die Bettdecke kroch; dann stand sie auf und zwang sich, zu baden und sich anzukleiden, als wäre es ein ganz gewöhnlicher Sonntag. Während sie ihr weißes Haar, das sie immer noch lang trug, raffte und mit Nadeln hochsteckte, betrachtete sie ihre verschatteten Augen im Spiegel der Frisierkommode. Schon jetzt bereute sie es, mit Gemma gesprochen zu haben. Die Vertraulichkeit hatte in ihr ein Gefühl ausgelöst, als sei ihr Gewalt angetan worden, und sie verspürte plötzlich den Wunsch, das Ganze ungeschehen zu machen, die ganze Angelegenheit wieder im hintersten Winkel ihres Lebens verschwinden zu lassen wie ein Gespenst aus derVergangenheit, das in der Gegenwart nichts zu suchen hat.
    Nachdem sie eine Winzigkeit gegessen hatte, kochte sie Kaffee – richtigen Kaffee, um ihre Müdigkeit zu bekämpfen, ärztliche Anweisung hin oder her – und ging mit der Tasse hinaus in den Garten. Nachdem sie die Zeitung sorgfältig auf den weißen Metalltisch gelegt hatte, setzte sie sich hin, doch als sie die zarte Porzellantasse an die Lippen hob, merkte sie, dass ihre Hand zitterte. Sie stellte die Tasse ab und zog sich die Strickweste fester um die Schultern. Doch nicht einmal der strahlende Sonnenschein schien sie wärmen zu können.
    Sie schloss die Augen und versuchte, die Vorfreude auf ihr morgendliches Idyll wiederaufleben zu lassen, doch die Nachbarskinder auf der einen Seite tobten und lärmten so ausgelassen, dass sie das Vogelgezwitscher mit ihrem Gekreische übertönten, und auf der anderen Seite, wo ein Ehepaar mittleren Alters wohnte, verteilte der Mann eifrig organischen Dünger im Garten und pfiff dabei durch die Zähne.
    Es war alles wunderbar, das war ihr durchaus bewusst; der
Gemeinschaftsgarten sauber und gepflegt, die Kinder glücklich und wohlgenährt, aber dennoch musste sie immer wieder an das Zusammengehörigkeitsgefühl der entbehrungsreichen Kriegsjahre zurückdenken, als sie die Gartenwohnung nur gemietet hatten und die Nachbarn während der Luftangriffe heruntergekommen waren. Sie hatten für alle Matratzen auf dem Boden verteilt und zusammen eine Tasse dünnen Tee nach der anderen getrunken. Damals hatte sie mehr miteinander verbunden als nur Eigeninteresse und das Bedürfnis, über den Wert ihrer Immobilien zu diskutieren.
    Sie und David waren durch eine Mischung aus Notwendigkeit und Zufall nach Notting Hill verschlagen worden, und nichts hatte ihnen damals fernergelegen, als über den künftigen Wert ihres Eigentums zu spekulieren. Alle jüdischen Flüchtlinge waren von den jüdischen Hilfsorganisationen in Wohnungen und Arbeitsverhältnisse vermittelt worden – so hatten die alteingesessenen englischen Juden der Regierung garantieren können, dass die Immigranten dem Staat nicht auf der Tasche liegen würden. Für David hatten sie einen Posten als Sekretär eines Verbandsfunktionärs gefunden, während Erika im ersten Jahr in der Hutabteilung von Whiteley’s in Bayswater eingestellt worden war. Zugleich hatte man ihnen eine Wohnung in der Nähe von Davids Arbeitsplatz vermittelt.
    Diese Beziehungen hatten ihnen die Eingewöhnung erleichtert, auch wenn Nachbarn und Kolleginnen ihr wegen ihres deutschen Akzents anfangs mit Misstrauen begegnet waren. Und schon damals hatte sie gelernt zu schweigen, wenn ihre englischen Bekannten ihrer hämischen Freude über die

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