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Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Titel: Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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schlug vor: »Können wir draußen sitzen?«
    »Oh, natürlich.« Erika trug eine dicke blaue Strickweste, schief zugeknöpft, und sie zog sie sich fester um die Schultern, als wäre ihr kalt.
    Kit ging durch die Glastür voran auf die kleine Terrasse mit Blick auf den Gemeinschaftsgarten. Er rückte einen der weißen schmiedeeisernen Stühle in die Sonne und sagte: »Setzen Sie sich hierher. Da wird Ihnen warm.«
    Erika folgte der Aufforderung und blickte dann mit einem spöttischen Blitzen in den Augen zu Kit auf. »Du kommandierst einen ganz schön herum, weißt du das?«
    »Das hat meine Mutter auch immer gesagt«, erwiderte Kit, während er auf dem Stuhl gegenüber Platz nahm.
    »Du sprichst nie über deine Mutter.«
    »Nein«, antwortete er und stellte zu seiner Überraschung fest, dass es ihm gar nicht so schwerfiel. »Sie hat das eigentlich gemocht, wenn ich ihr gesagt habe, wo’s langgeht. Sie hat mich immer ihren ›kleinen Diktator‹ genannt.«
    »Das kann ich durchaus verstehen.« Erika nahm ihr Glas in beide Hände und trank schließlich einen kleinen Schluck. »Das mit der Minze ist eine gute Idee.«
    »Meine Mutter hat sie im Garten gezogen. Im Sommer haben wir uns immer ein bisschen Minze in die Limo getan.« Entschlossen verdrängte er die Erinnerung an die langen Sommerabende in ihrem Garten am Fluss in Cambridgeshire. »War Ihr Vater wirklich Goldschmied?«
    »O ja – Goldschmied und noch vieles mehr. Er war ein Künstler. Und etwas von einer Elster hatte er auch.« Erika lachte ein überraschend kehliges Lachen. »Er liebte alles, was glänzte.« Ein wenig ernster fuhr sie fort: »Manchmal denke ich, es war ganz
gut, dass er das Ende des Krieges nicht mehr erlebt hat. Er wäre entsetzt gewesen, wenn er gesehen hätte, was aus Berlin geworden war, was aus Deutschland geworden war. Mein Vater liebte die schönen Dinge des Lebens.«
    »Er …« Kit zögerte; er wusste nicht, wie er die Frage formulieren sollte.
    »Ja, er ist im KZ gestorben. 1942, nach allem, was ich herausfinden konnte.«
    »Und sonst gab es niemanden?«
    Als sie den Kopf schüttelte, lösten sich ein paar Strähnen ihres weißen Haars aus dem straffen Knoten und tanzten um ihr Gesicht. »Nein. Nur wir zwei. Meine Mutter starb, als ich noch ein kleines Mädchen war.«
    Kit nickte, und dann saßen sie schweigend da, einer verstand den anderen, und nippten nachdenklich an ihrer Limonade.
    Nach einer Weile fragte Kit: »Wie war das eigentlich in Berlin vor dem Krieg?«
    Erika lächelte. »Ich muss da immer an Blumen denken. Im Sommer war unser Garten ein Meer von Blumen. Rote und rosa Geranien, Petunien, Rosen. Mein Vater war ein sehr geselliger Mensch, und gegenseitige Einladungen waren gut fürs Geschäft. Der Sommer schien wie ein einziger langer Reigen von Gartenpartys, mit glitzernden Kleidern, Gelächter, dem Geruch von Zigarettenrauch in der Luft. Aber...« Sie stieß einen kleinen Seufzer aus und fuhr dann mit festerer Stimme fort: »Aber ich war noch ein Kind. Und ich bin sicher, wäre ich älter gewesen, dann wäre es mir nicht entgangen, dass es schon damals nicht gleichgültig war, dass wir Juden waren.
    Mein Vater wurde geduldet, weil er schöne Dinge für die Reichen machte, und auch nach Hitlers Machtergreifung 1933 mochte die Elite ungern auf ihren Luxus verzichten. Und mein Vater war ein Optimist. Er wollte immer nur an das Gute im Menschen glauben.«

    »Aber wie konnte er nur? Wo doch so schreckliche Dinge passiert sind?«, fragte Kit.
    Erika sah in den Gemeinschaftsgarten hinaus, und ihr Blick blieb an einer jungen Frau hängen, die mit ihrem Kind spielte. »Nach der Kristallnacht konnten nicht einmal mehr mein Vater und David die Gefahr ignorieren, obwohl es in Davids Fall nicht sein Optimismus, sondern seine Sturheit war, die uns in Berlin hielt.«
    Die Kristallnacht . Kit hatte in der Schule davon gehört, zunächst war er interessiert gewesen, weil der Name ihn fasziniert hatte, dann mit wachsendem Entsetzen, als ihm die Bedeutung klar wurde.Aber irgendwie hatte er Erika nie mit dieser furchtbaren Geschichte von Gewalt und Zerstörung in Zusammenhang gebracht.
    »Die Pogromnacht«, sagte Erika leise. »Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. In Deutschland und Österreich wurden die Fenster von Tausenden jüdischer Wohnungen und Geschäfte eingeschlagen. Juden wurden verprügelt und getötet, und über dreißigtausend jüdische Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt. Der Ausdruck

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