Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
kaltem Zigarettenrauch stinkend – was Harry auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Er schloss die Tür, verzog angewidert das Gesicht und wich einen Schritt zurück. »Du riechst wie ein ganzer Raucherclub. Und was fällt dir eigentlich ein, mich um diese nachtschlafende Zeit aus dem Bett zu holen? Ganz zu schweigen von den Nachbarn – die werden sich jetzt wochenlang das Maul zerreißen.«
»Seit wann macht es dir etwas aus, wenn die Leute über dich reden?«, gab Dom zurück und ließ sich in Harrys Brokatsessel sinken, ein Erbstück von seiner Großmutter väterlicherseits.
»Und du siehst scheiße aus«, fuhr Harry unbeeindruckt fort. Es war eine Schande, wie der Junge sich gehen ließ, dachte er – und das bei seinem Aussehen, um das Harry ihn in seinen besten Tagen beneidet hätte. Er überlegte kurz, ob er Dom aus seinem Lieblingssessel verjagen sollte, konnte sich aber nicht entscheiden, wo er ihn sonst hinsetzen sollte. Schließlich gab er sich mit dem zweiten Sessel zufrieden, nachdem er noch rasch die Bettdecke glatt gezogen hatte. »Was willst du, Dom?«
Dom beugte sich vor, und Harry sah, dass seine Hände zitterten. »Hast du irgendwas da, Harry? Nachdem wir nun auch geschäftlich miteinander verbunden sind, kannst du deinem Partner doch wohl’nen Drink anbieten, oder? Mir geht’s nicht so toll.«
»Nix da. Die Bar ist geschlossen«, brummte Harry und dachte sehnsüchtig an die Flasche Gin, die er im Küchenschrank versteckt hatte. Ein Schluck würde seinem verkaterten Schädel guttun, aber er wollte Dom so schnell wie möglich wieder los sein, und er hatte jedenfalls keine Lust, seinen Notvorrat für medizinische Zwecke mit irgendwem zu teilen.
»Dann vielleicht’nen Kaffee? Oder Tee?«
Harry schielte nach dem vollen Wasserkocher, neben dem schon seine Lieblingstasse und die Teedose bereitstanden, und seufzte. »Na schön. Eine Tasse. Aber dann komm endlich zur Sache.« Nicht dass er irgendwelche Termine gehabt hätte, aber das Verhalten des Jungen machte ihn nervös. Harry kannte Dominic als jemanden, der von klein auf forderte und nicht bettelte, und befürchtete daher, dass irgendetwas seine Pläne ganz gehörig durchkreuzt haben musste.
Er goss den Tee auf, während Dom in seinem Sessel herumzappelte wie ein quengeliges Kind, an seinen Manschetten zupfte und sich mit den Händen durch das ohnehin schon ganz zerzauste dunkle Haar fuhr. Harry kannte die Zeichen – das bedeutete nichts Gutes für ihr gemeinsames Projekt.
Während der Tee zog, entschuldigte er sich und ging ins Bad. Dort bürstete er sich die Haare und betrachtete sich kritisch in dem mit Fliegendreck übersäten Spiegel. Er hatte definitiv schon mal besser ausgesehen. Bilder schwirrten ihm durch den Kopf. All die Inszenierungen, für die er ohne Erfolg vorgesprochen hatte. Und dann die, in denen er gespielt hatte – miese Rollen in ungeheizten Dorftheatern oder gar beim Christlichen Mütterbund -, Gott bewahre. Und die Schuldeneintreiber, die sich einfach nicht abwimmeln ließen.
Nein, er würde nicht einfach so vom fahrenden Zug abspringen. Nicht jetzt, Freundchen. Mit Dominic wurde er allemal fertig, diesem verwöhnten Bürschchen, das nicht halb so viel Mumm hatte wie seine Frau Mama.
Mit einem Lächeln, das seiner neu gewonnenen Entschlossenheit entsprang, ging Harry zurück ins Wohnzimmer. Er schenkte zuerst Dom Tee ein – in eine Porzellantasse, die er den zappeligen Fingern des Jungen nur widerwillig anvertraute – und dann sich selbst, und dann setzte er sich auf die Armlehne des Sessels, die Knöchel über Kreuz, als hätte er überhaupt keine Sorgen.
»Also, Dom, was haben wir denn nun für ein Problem?«
Dom trank seinen Tee in großen, gierigen Schlucken, bis die Tasse leer war, und starrte Harry an, als hätte es ihm die Sprache verschlagen. Er schluckte krampfhaft und sagte: »Harry, wir müssen die Brosche aus der Auktion nehmen.«
»Was? Sie aus der Auktion nehmen ?« Harry hatte damit gerechnet, dass er versuchen würde, ihm den Anteil zu kürzen, aber nicht mit so etwas. »Bist du wahnsinnig?«
»Nein. Wenn ich’s dir doch sage – sie darf nicht unter den Hammer kommen.«
»Wie kommst du denn bloß auf diese Schnapsidee? Wir reden hier von einem Profit im sechsstelligen Bereich, wenn nicht mehr, und du warst es doch, der unbedingt …«
Dom schüttelte den Kopf. »Die Polizei war da. Sie haben mit Kristin geredet. Sie stellen Fragen über die Brosche. Da ist eine Frau, die behauptet, sie
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