Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
geworden? Und selbst wenn ich so bescheuert wäre – ihr Auto steht seit zwei Wochen in der Werkstatt, weil sie auf ein Ersatzteil aus Deutschland warten.«
Cullen hatte sich den Namen der Werkstatt geben lassen. Jetzt sagte er: »Soll ich das mit dem Auto überprüfen, Chef?«
»Ja, und sehen Sie mal zu, ob Sie vielleicht irgendwelche Mobilfunkunterlagen für Harry Pevensey auftreiben können. Bei der Leiche wurde kein Handy gefunden, und in der Wohnung haben wir auch keins gesehen.« Kincaid hatte verblüfft registriert, dass das Telefon in Pevenseys Wohnung noch eine Wählscheibe hatte. Kein Wunder, dass Cullen keinen Anrufbeantworter erreicht hatte.
»Was ist mit Amir Khan?«, wollte Cullen wissen. »Ich habe mit meinem Kumpel im Betrugsdezernat gesprochen. Er sagt, das Auktionshaus hat schon mehrmals das Gesetz umgangen – gefälschte Einfuhrpapiere, fehlende Nachweise und dergleichen. Was ist, wenn Khan mehr über die Brosche wusste, als er zugeben mochte? Könnte er sie als gestohlen erkannt und trotzdem zur Versteigerung akzeptiert haben? Ich hätte schwören können, dass er heute Morgen beunruhigt wirkte.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob Erika sie je als gestohlen gemeldet hat.« Kincaid sah auf seine Uhr. »Ich muss mich mit Gemma kurzschließen, und bevor wir uns Mr. Khan noch einmal vornehmen, möchte ich ein bisschen mehr über Harry Pevensey in Erfahrung bringen. Ich würde mir ganz gerne mal diese Bar anschauen, wo Dom Scott ihn angeblich kennengelernt hat – das French House .«
Als Gemma David Rosenthals Fallakte endlich gefunden hatte, tat ihr der Rücken weh, ihre Finger waren schwarz vor Dreck, und der Geruch nach altem Staub schien sich unauslöschlich in ihrer Nase festgesetzt zu haben.
»Warum zum Teufel kann die Met nicht irgendeinen kleinen Büroangestellten bezahlen, der von morgens bis abends in diesem Verlies hockt und den ganzen Krempel auf einen Computer überträgt?«, hatte sie gegrummelt, als sie sich darangemacht hatte, die in Kisten verstauten Akten durchzusehen.
Doch als sie die Kiste zum Tisch getragen hatte, auf dem dazugehörigen zweckmäßigen Stuhl Platz nahm und endlich David Rosenthals Akte in der Hand hielt, revidierte sie ihre Meinung. Langsam und bedächtig blätterte sie die Seiten um. Maschinengeschriebene Berichte, mit dem einen oder anderen unkorrigierten Tippfehler. Handschriftliche Notizen des verantwortlichen Ermittlungsbeamten, eines gewissen Inspector Gavin Hoxley. Plötzlich wirkte das alles unbestreitbar real.
David Rosenthal, so las sie, war an einem Samstagabend im Mai in Cheyne Gardens tot aufgefunden worden. Er lag neben einer Bank auf der Erde. Offenbar war er komplett ausgeraubt worden, sodass er erst identifiziert werden konnte, nachdem seine Ehefrau ihn als vermisst gemeldet hatte.
Seine Ehefrau. Erika. Lieber Gott.
Er hatte mehrere Stichwunden von einer beidseitig geschliffenen Klinge erlitten, führte der Bericht weiter aus, und war nach Ansicht des Rechtsmediziners auf der Stelle tot gewesen. Es hatte keine Abwehrverletzungen gegeben.
Er hatte in Notting Hill gewohnt, und die Adresse war die von Erikas Haus in Arundel Gardens. Gearbeitet hatte er in North Hampstead, und jede freie Stunde hatte er im Britischen Museum verbracht.Was ihn an jenem Samstagabend nach Chelsea geführt hatte, war nicht bekannt.
Und dann kam Gemma zu den Fotos. Das also war Erikas
Ehemann gewesen.Auch ohne Farbe waren die Tatortfotos schockierend, das Schwarz des Blutes auf seinem Hemd in scharfem Kontrast zum Weiß des Stoffes und dem bleichen Gesicht.Aber selbst im Tod war noch zu erkennen, dass David Rosenthal ein attraktiver Mann gewesen war, mit fein geschnittenen, ein wenig verhärmten Zügen.
Warum hatte sie in Erikas Wohnung nie ein Bild von ihm gesehen? Nicht einmal ein Hochzeitsfoto. Und als Gemma rasch nachrechnete, kam sie zu dem Ergebnis, dass Erika erst in den Dreißigern gewesen war, als ihr Mann ermordet wurde.Warum hatte sie nie wieder geheiratet? War David Rosenthal die große Liebe ihres Lebens gewesen, durch niemanden zu ersetzen?
Und warum war sie, Gemma, nie auf die Idee gekommen, Erika danach zu fragen?
Sie schob ihren Stuhl zurück und trennte Gavin Hoxleys Aufzeichnungen von den übrigen Dokumenten. Er hatte sich flüchtige Notizen gemacht, ähnlich den laufenden Kommentaren in Gemmas eigenen Notizbüchern, und er hatte eine wohlgeformte Handschrift mit kühnen Abstrichen. Sie mutmaßte, dass er ein vorsichtiger Mann gewesen war,
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