Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
Eutherius geduldig ein.
»Inzwischen wissen sie es ohnehin«, sagte Julian.
Oribasius, der ebenfalls anwesend war, sagte: »Du hast öffentlich noch nichts erklärt. Die Leute glauben, was sie glauben möchten.«
»Außerdem werden in jeder Stadt auf unserem Weg nach Osten Christen sein«, sagte Eutherius. »Und mächtige Bischöfe, die sie anstacheln. Wenn du den hiesigen Bischof verärgerst, werden die anderen es bald wissen, dessen kannst du sicher sein. Nein, zu vieles ist noch in der Schwebe. Du kannst es dir nicht leisten, irgendwo vor verschlossenen Toren zu stehen.«
»Also beherrschen die Bischöfe sogar einen Kaiser«, stellte Julian bitter fest.
Doch er nahm an dem Ritus teil, ging in der Prozession neben dem lächelnden, nickenden Bischof und seinen Ministranten an den erhabenen leeren Tempeln mit ihren fleckigen Fassaden vorbei wie ein Mann, der unterwegs ist, um sich einen Zahn ziehen zu lassen.
Ich weiß nicht, ob es dieser Tag war, der ihn bewog, gegen Eutherius’ Rat zu handeln. Jedenfalls erließ Julian kurz darauf sein erstes Religionsedikt. Constantius hatte bei Todesstrafe verboten, die alten Götter zu verehren. Von nun an sollten die Menschen, so verfügte Julian, in ihrem Gewissen frei sein; ihr Verstand gehöre ihnen, und sie dürften anbeten, wen sie wollten. Die Wahrheit hat viele Seiten. Es stand weder Julian noch einem Bischof oder sonst jemandem zu, anderen vorzuschreiben, aus welchem Blickwinkel er die Wahrheit zu betrachten hat.
Der Bischof von Vienne war anderer Ansicht. Ich war bei Julian und Eutherius in der großen Bibliothek des Kaiserpalastes, einem lichtdurchfluteten Gewölberaum mit Büchernischen und rosa geäderten Marmorsäulen, den Julian zu seinem Arbeitszimmer erklärt hatte, als der Bischof angekündigt wurde.
Er erschien in der fernen Tür, blieb einen Moment dort stehen und gaffte. Sein sonst so milder, selbstgefälliger Ausdruck war verschwunden. Sein Gesicht wirkte verkniffen und gequält.
»Mir ist ein höchst verstörendes Gerücht zu Ohren gekommen!«, rief er, während er im Eilschritt den Raum durchquerte. »Ohne Zweifel ist es nichts weiter als törichter Klatsch, dochich wurde darauf angesprochen und dachte, es sei das Beste, dich persönlich aufzusuchen und die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen.«
Geringschätzig ließ er den Blick über die Bücherreihen schweifen und sodann auf Julian ruhen, der wie gewöhnlich mit einer schlichten Soldatentunika bekleidet war. Neben dem Bischof in seiner schweren, mit Gold und Purpur bestickten Robe konnte man ihn für einen Diener oder einen breitschultrigen Bibliothekar halten.
»Was ist dir denn zu Ohren gekommen?«, fragte Julian freundlich.
»Dass du deine eigene Kirche unterdrücken willst. Das ist natürlich absurd – der edle Julian ist ein Neffe des heiligen Constantin!«
»Das ist in der Tat absurd«, sagte Julian. »Ich will niemanden unterdrücken – keinen Einzigen.«
Eine Pause entstand.
»Du bist aber gewillt, Häretiker und die Anhänger heidnischer Götzen zu tolerieren.«
»Ich lasse jedem die Freiheit, zu verehren, wen er will. Niemand soll eine Verfolgung fürchten müssen.«
Der Bischof holte zischend Atem und blickte ihn wütend an. »Dann ist es also wahr!«, stieß er zornig hervor. »Muss ich dich ermahnen, dass Götzendiener Gott ein Gräuel sind?«
»Wenn das so ist, dann überzeuge sie durch deine Worte und dein Beispiel, wie Christus es getan hat. Gebrauche die Macht deiner Argumente, Bischof, so du welche hast. Ich werde nicht erlauben, dass Menschen enteignet werden, weil sie deine Ansichten nicht teilen, oder dass sie gegen ihren Willen vor deine Altäre geschleppt werden.«
Die Augen des Bischofs wurden schmal. »Das sind die Wortklaubereien eines Sophisten!«, rief er. »Die Menschen müssen bezwungen werden.«
»Mit Gewalt?«
»Der Kranke schluckt seine Medizin nicht immer gern.«
Julian zögerte, und ein, zwei Augenblicke lang sahen sich die zwei ohne Verständnis füreinander an; der Abgrund war unüberbrückbar. Mir wurde kalt ums Herz. Solche Worte hatte ich schon einmal gehört: vom Londoner Bischof an dem Tag, als ich als junger Tribun in seiner reich ausgestatteten Residenz stand und machtlos zuhörte, wie er mir den Sieg der Unvernunft verkündete.
»Weder Schwert noch Feuer ändern die Ansicht eines Menschen«, sagte Julian schließlich. »Ich hätte erwartet, dass gerade ihr, die ihr auf eine lange Reihe von Märtyrern zurückblickt, diese Lektion
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