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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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Torheit, sondern Zorn auf jene, die ihn für ihre niederen Zwecke missbraucht hatten. Und damit meinte ich nicht bloß die Barbaren, sondern auch Nevitta und seine hohlköpfigen, lärmenden Freunde, die sich für so welterfahren hielten. Sie hatten Rufus die Lebensfreude genommen und sein Vertrauen in die Welt zerstört, das aufrichtig gewesen war. Obwohl noch ohne große Erfahrung, hatte er Trittsicherheit auf dem Weg durch das Leben besessen. Sie war vernichtet worden, zertrampelt wie eine seltene Blume, gedankenlos, unbeachtet, gleichgültig.
    Ich hätte gern den Arm um ihn gelegt, aber das hätte nichts genützt. Inzwischen schreckte er vor jeder Berührung zurück.
    Ich wischte mir über die Stirn. Für das Bad war es sehr früh, und wir waren allein.
    Nach einer Weile sagte ich: »Die Natur lässt die Tiere gebückt gehen und fressen, doch den Menschen hat sie aufrechterschaffen, damit er zum Himmel blicken kann und seine Seele ihre Heimat erkennt.«
    Sein junges Gesicht verzog sich. »Schöne Worte, Drusus. Aber für dich sagt sich das leicht. Schau, was du hast. Jeder schätzt dich und sieht zu dir auf. Du bist wie ein Reicher, der nicht verstehen kann, warum ein Bettler über sein beschwerliches Leben klagt.«
    »So ist mein Leben keineswegs«, erwiderte ich, »so ist es nie gewesen.«
    Er zuckte bloß die Achseln. Aufgebracht sagte er: »Du willst über Wahrheit reden? Dann sage ich dir, was wahr ist. Wir sind nichts als Tiere, niedrige, erbärmliche Tiere. Das ist der Mensch in Wirklichkeit. Alles andere ist nur ein Traum. Schau dich doch um, Drusus! Was siehst du denn außer Grausamkeit und Selbstsucht?«
    Ich sog die heiße Luft in meine Lungen. Leise antwortete ich: »Ja, Rufus, ich weiß. Da braucht man nicht lange zu suchen. Aber es gibt auch Edelmut, Liebe und Schönheit, und es gibt das Gute, das unsere Seele sehr wohl erkennt. In jedem Menschen wohnt ein Tier und ein Gott, und jeder kann sich entscheiden, welchem er folgen will.«
    Er stieß ein aggressives Lachen aus. »Fromme Worte! Aber ich war da und du nicht.« Er hielt inne und blickte mich forschend an; dann schaute er weg. In anklagendem Ton sagte er: »Du hast es Marcellus erzählt, nicht wahr?«
    »Ich habe es niemandem erzählt. Was damals passiert ist, bleibt unter uns.«
    Er zog die Brauen zusammen und schien etwas erwidern zu wollen; stattdessen drehte er den Kopf weg und spuckte aus. Dann stemmte er sich von dem Sims hoch, stand einen Moment still da und blickte geradeaus.
    »Ich gehe jetzt. Ich will nicht mehr reden«, sagte er. Seine Stimme hatte alle Kraft verloren; nur Verbitterung und ein gequälter Unterton waren geblieben. »Komm mir nicht nach,Drusus. Du hast gesehen, was ich bin, und das ist schlimm genug. Du hättest mich bei meinem Wein sitzen lassen sollen.«
    Durch den wabernden Dampf schritt er davon, eine nackte, verlorene Gestalt.
    Am Abend, als ich Marcellus sah, fragte er mich, wie es verlaufen sei.
    Ich erzählte es ihm, aber nicht alles. Worte haben Macht, können heraufbeschwören oder zerstreuen. Es schien mir keinen Sinn zu haben, solch düsterer Betrachtung Macht zu verleihen, indem ich sie wiederholte.
    Den Vormittag über war ich ernst und nachdenklich gewesen und hatte einige Überlegungen angestellt. Jetzt sagte ich: »Mir scheint, dass man das Leben eines anderen Menschen nicht für ihn gestalten kann, als hielte man Ton in den Händen. Veränderungen müssen aus ihm selbst kommen, weil er sie will, oder durch das Eingreifen eines Gottes. Ich glaube nicht, dass Rufus auf mich hört. Aber vielleicht wird er sich eines Tages erinnern.«
    Doch bald schon mussten wir unsere Gedanken auf andere Dinge richten. Lucillians Legionen, die nach Gallien hatten marschieren sollen, hatten rebelliert.
    Ich war bei Julian in einem der prächtigen Säle des Sommerpalasts, als der Bote angekündigt wurde. Die Legionen hatten die Festungsstadt Aquileia eingenommen und Constantius ihre Treue ausgesprochen.
    Aquileia ist eine ziemlich bedeutende Stadt. Sie liegt an der Straße, die den Osten mit dem Westen verbindet, und herrscht über Norditalien. Deshalb war die Gefahr groß. Die italienischen Städte, die bis dahin noch unschlüssig gewesen waren, würden ihre Tore vor uns verschließen, wenn wir uns jetzt schwach zeigten. Und Gaudentius war noch in Afrika. Wenn Italien sich gegen uns stellte, würde er ungehindert nach Sizilien übersetzen und unsere Flanke angreifen können.
    Julian rief seine Offiziere zusammen. »Wie

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