Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
– aber kein Brief.
Wir zogen das Bettzeug weg und fühlten unter der Matratze, tasteten die Borde ab und suchten nach verborgenen Wandnischen, fanden aber nichts. Inzwischen regten sich schon die Vögel, und das erste Grau eines elenden Morgens zeigte sich in den Fenstern.
Ich blies die Lampe aus. »Komm«, sagte ich, »hier ist er nicht.«
Zurück in unserem Zimmer zerwühlten wir die Laken, damit es aussah, als hätten wir darin geschlafen. Dann setzten wir uns und überlegten, was zu tun war.
Wir hatten die Leiche hastig und bei Dunkelheit versteckt.Nach allem, was wir wussten, mochte die Gasse bei Tage von vielen benutzt werden, und ein vorbeigehender Arbeiter auf dem Weg zu den Feldern könnte den Toten entdecken. Bei all der Aufmerksamkeit und Fragerei, die das mit sich bringen würde, durften wir nicht so lange bleiben. Schon hörte man draußen die Diener des Gasthauses unter dem Vordach gedämpft miteinander reden, während sie ihren morgendlichen Pflichten nachgingen. Deshalb gingen wir in den Stall, nahmen unsere Pferde und ritten weiter nach Westen.
Lupicinus blickte düster auf das Pergament in seiner Hand. Es war der Brief, den wir ihm von Julian überbracht hatten und der ihn nach Paris zurückbeorderte. An seinen Augen sah ich, dass er zu Ende gelesen hatte, doch er schaute nicht auf und sagte auch nichts.
In der Stille hörte ich seinen Atem geräuschvoll durch die Nüstern streichen, ein und aus, wie bei einem ungeduldigen Mann kurz vor einem Wutausbruch. Warum schwieg er? Was war verkehrt? Ich wartete. Ich wagte nicht, den Kopf zu Marcellus zu drehen.
In Chester, wo Lupicinus bei seiner gemächlichen Rückkehr nach Süden Halt gemacht hatte, waren wir endlich zu ihm gelangt. Nun, wo ich vor ihm stand, musste ich wieder daran denken, auf wie vielen Wegen ihn ein Brief Florentius’ oder ein Schreiben des Kaisers erreicht haben konnte, zum Beispiel per Schiff bis nach Nordbritannien oder über Land von Westen her, und ich fragte mich, was er vielleicht schon wusste, das ihm den wahren Charakter unseres Auftrags verraten könnte.
Ich merkte, wie ich unruhig die Fäuste ballte, und zwang mich, die Hände still zu halten, während ich jeden Augenblick damit rechnete, dass er uns verhaften ließ.
In der Ecke saß ein angespannter Adjutant an einem Schreibpult, schob nutzlos Papiere hin und her und lauschte aufmerksam. Aus den Augenwinkeln sah ich Marcellus in aufrechterHaltung stehen wie auf dem Exerzierplatz. Ich kam zu dem Schluss, dass ich etwas sagen sollte; das schien mir erträglicher als das Schweigen. Doch als ich Luft holte, klatschte Lupicinus den Brief auf den Klapptisch und sah mir in die Augen, ohne eine Miene zu verziehen.
»Warum hat der Cäsar gerade dich geschickt?«, fragte er kühl.
Meine Gedanken überschlugen sich. »Ich hatte hier persönliche Angelegenheiten zu regeln, denn Britannien ist meine Heimat, und habe einen Freund als Begleiter mitgenommen.«
Während ich antwortete, blieb sein Blick auf mein Gesicht gerichtet.
»Ist der Präfekt Florentius in Paris?«, wollte er dann wissen.
Er fragte, um mich zu prüfen, das spürte ich. Ich roch meinen Schweiß. Es war eine Weile her, dass ich Gelegenheit zum Baden gehabt hatte. »Er ist in Vienne«, antwortete ich.
»Vienne«, wiederholte Lupicinus mit bedächtigem Nicken. Ich wusste nicht, ob er schon gehört hatte, dass der Präfekt aus Vienne geflohen war. Wenn ja, wusste er auch das Übrige.
Einen Moment lang blieb er still. Dann nahm er den Brief wieder zur Hand, und mir schien, als liege ein gewisser Abscheu in seinen angespannten Zügen.
»Weißt du, was er geschrieben hat?«, fragte er langsam und misstrauisch.
»Nur, dass der Cäsar dich bittet, nach Paris zurückzukehren.«
»Ja. Dieser Brief überrascht mich.«
»Inwiefern?«
»Meine Siege finden keine Erwähnung. Warum geht er nicht darauf ein?« Er blickte mich an, dieser eitle Ahnungslose. Ich hätte beinahe gelacht.
»Oh!«, rief ich aus. »Davon wussten wir gar nichts. Eine ganze Weile schon sind keine Nachrichten mehr zu uns gelangt. Ich hoffe aber, dass du Julian bald selbst davon berichtenkannst. Das wird ein großer Triumph für dich werden.« Also hat er diese Pikten und Skoten zurückgeschlagen, dachte ich im Stillen. Seinem Tonfall nach hätte man meinen können, er habe die mächtigen Heere eines persischen Großkönigs mit einer Hand zerquetscht, und sein Name stünde nun am Himmel zu lesen.
Doch wie jeder wusste, war Lupicinus kein
Weitere Kostenlose Bücher