Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
Mann, der seine Errungenschaften herunterspielt.
Er musterte mich forschend. Zweifellos hatte er in seinem Leben schon reichlich verlogene Schmeicheleien gehört. Dann aber sagte er: »Ja, nun, um die Wahrheit zu sagen, ich hatte erwartet, von Florentius zu hören. Doch du bringst kein Wort von ihm?«
Ich verneinte. Er atmete scharf ein; dann schritt er betont aufrecht, in straffer Haltung zum Fenster, um in den Hof zu schauen.
»Vor einem halben Monat erhielt ich einen Brief des Präfekten. Er hat nur wenig mitgeteilt, deutete jedoch an, dass er Schwierigkeiten fürchtet. Weißt du, was er gemeint haben könnte? Nein? Nun, ich auch nicht. Er schrieb nur, er werde mir bald mehr darüber erzählen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
Währenddessen hatte er uns den Rücken zugewandt; jetzt aber drehte er sich abrupt um, als hoffte er, mich bei einer verräterischen Miene zu ertappen. Ich blickte ihn ausdruckslos an.
»Aber du sagst, in Gallien ist alles in Ordnung?«
»Einigermaßen. Es gibt Gerüchte, dass die Germanen am Rhein sich wieder zum Krieg rüsten.«
»Ach, das ist doch nichts Neues. Es muss etwas Schwerwiegenderes sein, was meine Anwesenheit erfordert.«
»Ja, das vermute ich auch.«
Marcellus fragte hilfsbereit: »Sollen wir einen Brief für den Präfekten mitnehmen?«
»Wie bitte? Ach nein, das ist nicht nötig. Soll der Präfekt sichan mich wenden, wenn er es wünscht. Julian wird mir schon sagen, worum es eigentlich geht.«
Ich wagte wieder zu atmen.
Marcellus, der den Mann richtig einschätzte, fragte nach dem Feldzug und erklärte, er habe in der kurzen Zeit, die wir im Lager seien, schon viel davon rühmen hören. Zum ersten Mal hellte sich Lupicinus’ Gesicht auf. »Hast du anderes erwartet? Ich bin noch nie besiegt worden, und nach meinen vorherigen Taten war das ein Kinderspiel. Erst vergangenes Jahr in Syrien …«
Und dann war er nicht mehr zu bremsen.
Ich schmunzelte innerlich und folgte Marcellus’ Beispiel, der die Schmeichelei weitertrieb. Eine halbe Stunde lang hörte ich hundemüde zu, während Lupicinus mit seinen Erfolgen gegen die Skoten und Pikten prahlte. Doch ich ließ mich mit großer Erleichterung von ihm langweilen, da ich nun wusste, dass wir den Zweck unseres Auftrags erfüllt hatten.
Als Marcellus und ich später zu unserem Quartier gingen, pfiff ich durch die Zähne und sagte: »Zwei Tage länger, und Firmus hätte seinen Brief abgeliefert.«
Marcellus setzte zu einer Erwiderung an, zuckte aber zusammen wie ein scheuendes Pferd, weil ein Offizier quer über den Platz einen Soldaten anbrüllte.
Marcellus blickte mich kopfschüttelnd an. »Ich glaube, ich brauche Schlaf«, sagte er. Und dann: »Ich frage mich, was Florentius wusste. Es muss in diesem zweiten Brief gestanden haben.«
Ich nickte und dachte an den Boten, der von meiner Hand gestorben war. Doch ich wollte nicht darüber sprechen. Darum sagte ich: »Lupicinus hegt offenbar wenig Sympathie für den Präfekten. Wäre es anders, hätte er ihm mehr Beachtung geschenkt.«
»Er kann ihn nicht ausstehen. Und weißt du auch, warum?«
»Nein.«
»Er hält ihn für überheblich.«
Wir lachten lauthals und zum ersten Mal seit vielen Tagen.
»Trotzdem werde ich froh sein, wenn wir von hier fort sind«, sagte ich schließlich, »je eher, desto besser.«
Doch wir sollten Lupicinus noch nicht loswerden.
Er war ein Mann, der sich sofort und voller Energie ans Werk machte, wenn er sich einmal für etwas entschieden hatte. Am nächsten Morgen klopfte sein Diener an unsere Tür. Der Heermeister wolle mit uns nach Süden reisen, erfuhren wir; wir sollten uns beeilen, denn er wolle früh aufbrechen.
»Ja, selbstverständlich«, sagte ich.
Marcellus, der schon halb angezogen war, unterdrückte ein Stöhnen.
Kurz darauf machten wir uns mit Lupicinus und einer Eskorte auf den Weg. Seine Legionen – die Heruler und Bataver – würden entsprechend ihrem Tempo nachkommen. Er nahm nicht einmal seine teure Sammlung silberner Teller mit, sondern wollte sie sich nachsenden lassen.
In Letocetum ging er ins Badehaus, das inzwischen wieder geöffnet hatte und von tief hängendem Rauch umgeben war, der in der feuchten Luft klebte. Danach zog er sich in seine Räume zurück und sagte, er wünsche allein zu speisen. Er überließ es Marcellus, für alles zu sorgen – und das war gut so, denn der Wirt erkannte uns und erzählte aufgeregt, dass der Gast, nach dem wir gefragt hatten, am Tag nach unserer
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