Wen die schwarze Göttin ruft
packte Stricker wieder am Arm und drehte ihn herum. Peter Löhres' bleiches Gesicht tauchte auf, dahinter der hohläugige Heimbach, dann Veronika – kreideweiß und mit bebenden Lippen.
»Veronika …«, sagte Paul Stricker stockend.
Sie nickte. »Ich habe alles verstanden. Ich kann Französisch. Ich … ich …« Sie warf plötzlich die Arme um seinen Hals, drückte sich an ihn und weinte bitterlich.
»Das Weib kann leben!« ertönte hinter ihnen die kalte Stimme. »Der Gott nimmt nur eine Jungfrau an.«
»Wenigstens Sie sind gerettet«, sagte Paul Stricker heiser. »Veronika, nehmen Sie alle Kraft zusammen. Uns steht noch bevor, Löhres und Heimbach das alles zu erklären. Und es gibt noch eine große Hoffnung.«
»Wirklich?«
»Regen! Wenn es in den nächsten Tagen regnet, sind wir gerettet!«
»Aber man läßt uns nie wieder weg aus Urapa.«
»Das ist eine andere Sache. Darüber wollen wir erst nachdenken, wenn es geregnet hat.«
Hinter der Tür mit dem Goldvorhang wurden sie von sechs Wachen übernommen und aus dem Palast geführt. Dombono war zurückgeblieben und stand demütig vor seiner Königin.
»War das der Arzt?« fragte Sikinika.
»Ja, Göttin.«
»Er sieht klug aus. Ob er helfen kann?«
»Wer weiß das, o Göttin?« Dombono senkte den Blick. »Seinem kranken Gefährten konnte er nicht helfen – ihm haben unsere Kräuter geholfen.«
»Vielleicht kann er die Krankheit nennen?«
»Auch er wird sagen: Wir müssen den Körper aufschneiden.«
»Keiner rühre ihn an!« Die kleine Hand Sikinikas schlug auf die Thronlehne. »Die Schmerzen werden immer größer, jeder Schritt wird zur Qual! Warum sind die Ärzte so unwissend? Was vermögen sie denn – außer ihrem weisen Gerede?« Ihr starres Gesicht wurde noch ausdrucksloser. »Ich will den fremden Arzt allein sprechen, nach Sonnenuntergang. Und die anderen hängt, in Käfigen, an die Tempelmauer!« Sie beugte sich vor, und zum erstenmal flog ein Zucken um ihre schmalen Lippen. »Wird es regnen, Dombono?«
»Nach dem Opfer bestimmt, o Göttin.« Dombono ging rückwärts aus dem Saal.
Als der schwere Vorhang wieder zurückfiel, lehnte sich Sikinika zurück und legte die Hände flach auf ihre Brüste.
»Laß ihn klüger sein als die anderen Ärzte«, sagte sie leise. »Laß ihn klüger sein …«
5
Drei Tage lang irrte Alex Huber durch die Steppe. Nachdem er die Militärkontrollen dank seines Passierscheines vom Oberkommando glücklich hinter sich hatte, schien er der einzige Mensch in diesem weiten, schönen Land zu sein. Antilopenherden jagten vor ihm durch das Gras, Giraffen staksten majestätisch zu den Wasserstellen, ein paar Löwenfamilien lagen satt und faul im Schutze breitkroniger Bäume und genossen den Schatten. Gnus zogen äsend in langer Reihe über die Steppe. Im Südwesten ragte das Massiv der Mondberge in den fahlblauen Himmel.
Alex Huber blieb ein paarmal mit seinem klapprigen Jeep stehen und machte sich Zeichen in die Autokarte, von der General Bikene gesagt hatte, sie sei ziemlich genau. Auf diese Karte hatte Alex mit Rotstift die Route eingetragen, die schon hundertmal von Touristengruppen passiert worden war … der Standardweg aller Fotosafaris; ungefährlich – eine Piste, die selbst schon verschiedene Tiere kannten und zutraulich heruntertrotteten, weil das ›Wildfüttern‹ ja nur eine harmlose Attraktion war.
General Bikene hatte nicht übertrieben. Das Militär hatte wirklich überall gesucht. Die Spuren der Geländewagen waren noch in den trockenen Boden eingedrückt, die Fahrrillen im Gras deutlich sichtbar. Das harte Gras, seit Monaten ohne Regen, war überall geknickt und leblos. Hier gab es keine Geheimnisse mehr – das war eine Erkenntnis, die Alex Huber von Stunde zu Stunde unruhiger werden ließ.
Sechs Menschen und ein Landrover können nicht einfach verdunsten, dachte er am vierten Abend. Er hatte sein kleines Lager auf einem flachen Hügel aufgeschlagen, brannte ein Feuer ab und machte darin eine Konserve heiß. Zum Schlafen zog er sich in den Jeep zurück, legte sich quer über die Sitze, das Gewehr griffbereit auf der Brust, und das hatte sich als sehr nützlich erwiesen. Schon am zweiten Abend war ein Leopard um den Wagen herumgeschlichen, unsichtbar im Dunkeln, nur zu hören an dem leisen, gefährlichen Fauchen, mit dem er jeden Schritt begleitete.
Nachdenklich sah Alex Huber an diesem Abend hinüber zu dem dunklen Massiv der Ruwenzoriberge. Er hatte sie schon bei General Bikene erwähnt, aber
Weitere Kostenlose Bücher