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Wen die schwarze Göttin ruft

Wen die schwarze Göttin ruft

Titel: Wen die schwarze Göttin ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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fiel von ihm ab. Er kam sich wie ausgeleert vor, fühlte sich unendlich müde und von einer großen Gleichgültigkeit befallen.
    »Wat es passiert?« fragte Peter Löhres, der Kölner.
    »Ich habe eine Diagnose stellen müssen, weiter nichts. Der Sohn der Göttin … ich soll ihn heilen.«
    »Und da sitzen Sie wieder im Käfig herum?« rief Löhres.
    »Wenn ich ihn heile, können wir alle wieder zurück.«
    »O Gott, es gibt noch Wunder!« stammelte Veronika.
    »Beten Sie nicht zu früh!« Stricker lehnte sich gegen die Gitterstäbe. Über die bizarren Ränder des riesigen Felsenkessels schob sich der rötliche Widerschein eines Sonnenaufganges. Unten im Tal, über der Stadt, lag noch wie ein schwarzer Nebel die Finsternis, während die Spitze des Tempels bereits in den Tag stieß. Der dumpfe Klang eines Gongs tönte zu ihnen hinab.
    »Ich werde ihn aber nicht behandeln«, sagte Stricker.
    »Was werden Sie nicht?« Heimbach rüttelte an seinen Gitterstäben. »Sie wollen ihn nicht heilen? Sie wollen uns hier verrecken lassen?« Seine Stimme schlug Purzelbäume und wurde wieder hysterisch. »Ob Sie weiterleben wollen, ist mir Wurscht. Aber ich will leben! Ich habe Frau und Kinder! Ich wollte nie in dieses Mistland, aber der Stammtisch und diese idiotische Wette! Und jetzt lassen Sie uns hier verrecken. Warum behandeln Sie den Kranken nicht? Warum? Warum?«
    »Ich kann es nicht.«
    Peter Löhres stieß mit der Stirn gegen seinen Käfig. »Wat heißt hier: Isch kann nicht? Sie sind doch Arzt, Mann …«
    »Hier braucht man einen Chirurgen!«
    »In der Not scheißt der Teufel grün!« brüllte Löhres. »Mann, dann operieren se doch! Oder sind Sie ein Arzt, der nur von Bettnässern was versteht? Was sind Sie überhaupt für 'n Arzt? Ein Arzt muß alles können!«
    »Wissen Sie, was ein Osteom ist?« fragte Stricker ruhig.
    »Woher denn?«
    »Sie haben einen Möbeltransport, nicht wahr? Zerschlagen Sie einen Spiegel, bevor Sie ihn abliefern?«
    »Bin ich blöd? Was soll der Quatsch?«
    »Ich will leben!« schrie Heimbach wieder. »Aber er bringt uns um! Er bringt uns tatsächlich um!«
    »Verstehen Sie mich wenigstens«, sagte Stricker und blickte zu Veronika hinüber. Sie hob zaghaft die Schultern. Es ist auch zuviel verlangt, dachte er. Auch für sie, den Menschen des Atomzeitalters, bleibt der Arzt die rechte Hand Gottes. Wie kann man anderes erwarten von Menschen, die vor viertausend Jahren stehengeblieben sind?
    »Sie können nicht operieren«, sagte Veronika.
    »Das ist es.«
    »Versuchen Sie es!« schrie Heimbach und rüttelte wieder an seinen Gitterstäben. »Man kann das doch versuchen! Es geht um unser Leben!«
    »Ich habe einmal gelesen, daß im Krieg ein Hautarzt eine Oberschenkelamputation durchgeführt hat«, sagte Veronika. Ihre Stimme schwankte. »Sie ist gelungen.«
    »Ich weiß, was Sie sagen wollen, Veronika.« Stricker legte das Kinn auf die angezogenen Knie. »Dort hätte ich es auch getan. Aber hier muß der Patient überleben, und ich weiß, daß er es nicht wird.«
    »Dann gibt es keine Hoffnung mehr?«
    »Doch.«
    »Und welche?« schrie Löhres.
    »Die Liebe einer Mutter.«
    Das Tageslicht hatte den Kessel erreicht, die Häuser von Urapa schälten sich aus der Nacht. Am Fuße der riesigen Mauer versammelten sich die Soldaten, die abgelöst wurden. Ein Karren rollte heran, die Leitern an den Seilen schwankten. Gleich zog man sie wieder hinauf.
    »Das Frühstück«, sagte Löhres dumpf. »Im Reiseprospekt stand: Sie wohnen in Häusern der ersten Kategorie …«
    »Er will operieren!« schrie Heimbach in die Tiefe. Seine Stimme verklang in der Weite, aber er merkte es nicht mehr. Er hieb mit den Fäusten gegen seinen Käfig und brüllte weiter. »Er hat gesagt, daß er operiert! Er will es! Er will! Holt mich hier raus! Holt mich doch hier raus …«
    Die Leitern standen wieder an der Mauer. Ein neuer Tag begann. Der letzte Tag?
    Was ist ein Schritt? Eine Spanne von etwa einem Meter – wer spricht schon davon?
    Aber was sind dreihundert, vierhundert Schritte, wenn man um jeden Meter kämpfen, sich ducken, von Deckung zu Deckung springen muß – in einer Luft, die so dünn ist, daß der Atem rasselt und das Blut so heiß wird, als fließe es durch einen Ofen? Dann meint man bei jedem Schritt, es schlage ein Hammer in die Kniekehlen, aber jeder zurückgelegte Meter bedeutet: wieder ein Stück mehr erobert von dieser fremden Welt.
    Alex Huber lehnte sich erschöpft an eine Felsenwand. Vor ihm zog sich

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