Wen die schwarze Göttin ruft
einsetzen. »Spielen Sie nicht bepinkeltes Denkmal!« sagte er grob. »Zeigen Sie, was Sie können, Dombono!«
Dombono beugte sich über die auseinandergezogene Oberschenkelwunde. Sein Messer glitt über die Wundränder, über die Muskelstränge, berührte die gesetzten Klemmen. Es zischte nicht wie bei einer Koagulation, es stank nicht widerlich nach versengtem Fleisch: Die Blutungen kamen zum Stillstand, als schliefen die Blutgefäße ein.
»Bravo, Dombono!« sagte Huber ehrlich. »Das ist 1 : 0 für Sie!« Er trat einen Schritt zurück, und wie in jedem anderen OP kam eine Schwester und wischte ihm den Schweiß von der Stirn. Dann kam er wieder nach vorn und arbeitete weiter.
Der Knochen, die Wucherung. Messer an Messer, Huber neben Dombono: sie präparierten das Osteom frei. Stricker half mit Haken und Klemmen. Der Feind im Körper des Sohns der Sonne war erreicht.
»Ein Osteom!« sagte Huber. Es klang wie ein inbrünstiges Amen. »Stricker, wir haben Glück. Es ist ein Osteom. Ich entschließe mich zu einer Exzision. Eine Kürettage ist mir zu unsicher. Jetzt beten Sie, daß ich nicht den halben Knochen wegmeißeln muß!«
Sie hatten auch hier Glück. Die Wucherungen ließen sich abtragen, ohne tief in den Knochen zu gehen.
Im OP war es still. Das Klappern der Instrumente, das Meißeln, das Kratzen des Raspatoriums waren die einzigen Laute. Eine halbe Stunde lang; und Huber vergaß völlig, wo er war. Er operierte, und das war alles. Er hatte einen offenen Oberschenkel vor sich. Er trug ein Osteom ab. Vor ihm lag ein Patient – das allein war wichtig.
Als er glaubte, seine Schuldigkeit getan zu haben, richtete er sich auf. Er mußte sich erst an den Gedanken gewöhnen, daß er nicht in München war. Sein Blick fiel auf Dombono.
»Fertig!« sagte er. »Wenn ich jetzt zur Weiterbehandlung alles das hier hätte, was ich brauche! Stricker …«
»Kollege?«
»Wie ist's mit dem Nähen?«
»Das Anreichen wird klappen!« sagte Stricker, schwer atmend. »Ihr Chirurgen seid wirklich eine Sorte Mensch für sich.«
Nach einer guten Stunde wurde Sikinophis wieder aus dem OP geschoben. Er schlief noch, lächelte, und sein Gesicht war gut durchblutet. Huber kontrollierte noch Atmung, Puls, Herzschlag, Blutdruck … alles normal.
»Meine Hochachtung, Dombono!« sagte er und blickte dem Jungen nach. »Ihr Narkosemittel müssen Sie mir mitgeben.«
»Nichts wird Urapa verlassen außer Ihnen und Ihren Freunden.« Dombono winkte. Schwestern reichten Schüsseln mit duftendem Wasser. Die Ärzte tauchten die Hände hinein und spürten ein erfrischendes Prickeln auf der Haut. »Wann wird Sikinophis wieder laufen können?«
»Das wird noch einige Zeit dauern.« Dr. Huber wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht. Jetzt spürte er die Anstrengung und eine bleierne Müdigkeit. »Immerhin haben wir in den Knochen ein ganz schönes Loch geschlagen. Ehe man ihn wieder voll belasten kann, geht einige Zeit hin.«
»Aber er wird wieder laufen?«
»Das garantiere ich!«
»Danke.« Dombono verneigte sich kurz, wandte sich um und verließ mit seinen Ärzten den OP. Sie ließen Huber und Stricker allein – wie Ausgestoßene.
»Jetzt wird der Halunke seine neuen Pläne darauf einstellen«, sagte Huber. Eine kleine hübsche Schwester räumte die Instrumente weg und warf sie in einen Kessel mit brodelndem Wasser. »Wie geht es übrigens Heimbach. Ist er wirklich verrückt geworden?«
»Keine Spur!« Stricker sah Huber erstaunt an. »Ich denke, Sie haben ihn angefordert? Dombono holte ihn deswegen ab.«
»Keine Ahnung! Stricker, ich muß sofort dem Jungen nach! Für ihn beginnt jetzt erst die Gefahr, weil man mir alle Komplikationen unter die Weste jubeln kann! Sagen Sie den anderen, daß heute morgen ihr Leben gerettet worden ist …«
Er wartete keine Antwort mehr ab, sondern rannte aus dem OP. Die Flure waren leer. Niemand durfte den schlafenden Sohn der Sonne sehen. Huber rannte, als werde er gejagt; er erreichte das Bett, auf dem der Junge lag, kurz vor dem Eingang zum abgesperrten Teil des Krankenhauses.
Bis zum Abend wachte Alex Huber neben Sikinophis. Die Narkose ließ bald nach. Als seine Augendeckel flatterten, gab Huber ihm eine schmerzstillende Injektion. Der Junge erwachte und suchte ihn mit seinen Händen.
»Es ist alles in Ordnung, mein Freund«, sagte Huber beruhigend. Sikinophis lächelte matt. Der Blutverlust. Verdammt, hätte ich die Möglichkeit zu Infusionen! Jetzt müssen die alten Hausmittel ran.
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