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Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Titel: Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Andeck
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geworden, aber sie geht trotzdem schon in die erste Klasse, weil sie lesen, schreiben und rechnen kann, seit sie vier ist. Ich persönlich glaube, dass Rosalie hochbegabt ist, aber Mama will dieses Wort nicht hören. Sie sagt, Rosalie sei Rosalie, und basta. Sie will ihre Kinder nicht in Zentimetern und nicht in Kilogramm und auch nicht in IQ -Punkten messen, sie will sie als Gesamtmensch sehen. Dass ein Kind mal etwas kann, was andere im selben Alter nicht können, findet sie schlicht und ergreifend normal, genauso wie den umgekehrten Fall, dass einer von uns auch mal was nicht kann, was er längst können sollte. Und die Tatsache, dass Rosalie ziemlich klein für ihr Alter ist und unter den ein bis zwei Jahre älteren Erstklässlern echt mickrig wirkt, die übersieht Mama einfach. Und dann hat das arme Kind auch noch diese Schielbrille, das macht sie nicht gerade zum Leitwolf. Aber Mama sagt, es kann nicht nur Häuptlinge geben, man braucht auch Indianer. Und dass Rosalie schon klarkommt und dabei viel fürs Leben lernt.

    »Und wenn diese Lektion zu hart ist?«, fragte Paps jetzt. Er erzählte mir, was passiert war: Heute in der Pause stand das Rosinchen wohl ganz allein auf dem Schulflur. Die Lehrerin kam vorbei und sah, dass das Kind ein Bonbonpapier verspeiste, so ein knisterndes aus Plastik. Die gute Pädagogin sagte: »Lass das, Rosalie, daran kannst du sterben.« Das Rosinchen aber kaute weiter auf seinem Papier herum und antwortete: »Das ist mir doch egal, dann bin ich eben tot.«
    Da ist die Lehrerin erschrocken und hat sofort bei Paps angerufen. Sie sah bei Rosalie »Suizidgefahr« und wollte von Papswissen, warum das Rosinchen seinen Lebenswillen verloren habe und ob es bei uns in der Familie Probleme gebe.
    Paps stützte die Ellenbogen auf den Tisch und fuhr sich mit allen zehn Fingern durch die Haare, als er das erzählte. Sein schmales Gesicht war ganz blass.
    Rosalie stoppte die DVD und spulte zurück. Oh nein, dachte ich. Und schon ging es wieder von vorne los.
    »Ich waaarrr vergang’ne Nacht zu Haus alleine«, schmetterte Placido Flamingo.
    »Paps, das ist doch völliger Quatsch!«, tröstete ich meinen gramgebeugten Vater. »Rosalie will sich niemals das Leben nehmen, das passt doch überhaupt nicht zu ihr. Guck sie doch mal an!«
    »Doch graaad, als ich die erste Träne weine, macht plötzlich ein Ding laut klingeling«, grölte der komische Vogel gerade – und Rosalie mit ihm. Wie ein lebensmüder Mensch sah sie wirklich nicht aus.
    »Paps, mal ehrlich, ich glaub, die Lehrerin hat ein Problem, nicht Rosalie.«
    »Ich fürchte, so einfach ist das nicht.« Papa sah immer noch sehr unglücklich aus. »Rosalie hat in unserer Familie als Nesthäkchen wirklich keine einfache Position.«
    Ich schnaubte. Wer hat in unserer Familie schon eine einfache Position? Ich vielleicht?
    »Soooogleich erkannte ich die süße Klingel, es war der Toooon vom Telefooon«, johlte die kleine Operndiva. Es war schwer zu entscheiden, wer von den beiden den Schnabel weiter aufriss, Flamingo oder sie.
    »Lebensmüde? Nie und nimmer!« Ich schüttelte energisch den Kopf.
    »Aber warum hat sie das gesagt? Dann bin ich halt tot – das klingt so traurig und resigniert.« Trübe ließ er sein väterliches Auge auf seiner hüpfenden Jüngsten ruhen.
    »Es war Maaaaama, Maaaaama, und sie rief mich an«, trällerte Rosalie.
    Jetzt reichte es mir. Ich stand auf, packte den Kopfhörer, stöpselte ihn im Fernseher ein und stülpte ihn über Rosalies Kopf.
    Puh, endlich herrschte Ruhe.
    »Paps, wir fragen sie, wenn Placido Flamingo fertig ist. Es gibt doch tausend Gründe, so etwas zu sagen.«
    »Mir fällt kein einziger ein.«
    »Vielleicht stand da irgendwo der Junge, in den sie verknallt ist, und sie wollte nicht vor ihrem Schwarm ausgeschimpft werden und dann musste sie halt was Cooles sagen, um heil aus der Nummer herauszukommen.«
    »Rosalie ist fünf! Sie schwärmt doch noch nicht für Jungen«, protestierte Papa.
    »Er heißt Niklas und hat schon beide unteren Schneidezähne verloren und kann zehn Meter tauchen, ohne Luft zu holen«, sagte ich.
    Paps sank in sich zusammen.
    »Du, Papi, vielleicht haben sie auch in der Stunde davor in Religion besprochen, was nach dem Tod mit den Menschen passiert, und Rosalie wollte die Lehrerin nur trösten und ihr sagen, dass Sterben gar nicht schlimm ist. Ach, was weiß ich, was da passiert ist. Wir fragen sie einfach!«
    »Nein! Wir sollten sie auf keinen Fall direkt damit

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