Wen liebst du, wenn ich tot bin?
Tür auf.
Aus der Nähe war sie noch schöner. Sie hatte Sommersprossen und glatte, gebräunte Haut so wie Trick. Ihre Augen waren von einem schmelzenden Braun und ihre Mundwinkel zeigten nach oben, aber es war noch kein Lächeln.
»Es tut mir so leid, wenn ich störe …«, begann sie. Ihre Stimme war so rau wie die ihres Sohnes, aber ihre Aussprache war anders, schwerer zu verstehen und mit starkem irischem Akzent. Ein Wort jagte das andere, so wie bei Kindern, die es nicht erwarten können, auf der Rutsche nach unten zu gelangen. Die Endungen verschluckte sie meist.
»Wer ist da?«, rief mein Vater. »Iris?«
»Ich bin’s, Nan Delaney …«, antwortete sie an meiner Stelle. Sie sprach, als würden sie sich heute nicht zum ersten Mal sehen, und dann fiel mir ein, dass dies auch so war.
»Nan De…? Einen Moment.«
Der Toilettenpapierhalter klapperte, und ich spürte, wie meine Wangen rot wurden. Die Spülung wurde gezogen, dann trat Dad aus dem Klohäuschen und steckte sein T-Shirt in den Hosenbund.
Nan trat einen Schritt zurück auf den Zufahrtsweg, Dad stand auf der Türschwelle und ich stand hinter beiden, im Innern des Hauses. Dad war genauso verdattert wie ich, man konnte förmlich spüren, wie sehr ihm diese Situation gegen den Strich ging.
Nan warf Dad einen harten, ausdruckslosen Blick zu, und ich fragte mich, was sie sich bei ihrer ersten Begegnung zu sagen gehabt hatten.
»Es tut mir sehr leid, Ihnen Mühe zu machen, wirklich, aber ich dachte mir, einen Versuch ist es wert…« Sie lachte nervös, was gar nicht zu ihr passte. »Es geht um meine Zweitjüngste, Patsy. Sie ist plötzlich krank geworden und ausgerechnet jetzt ist uns der Wasservorrat ausgegangen. Die Männer sind alle auf der Arbeit, wissen Sie, und ich kann wegen der Kleinen nicht weg.«
Also war sie nicht meinetwegen gekommen.
Es war klar, was sie wollte, aber Dad machte es ihr wirklich nicht leicht. Für einen Augenblick verdüsterte sich ihre Miene, dann war es auch schon wieder vorbei.
»Ob Sie mir vielleicht etwas Wasser verkaufen könnten, ein Eimer würde reichen. Für mein Baby, damit ich es baden und ihm eine Suppe kochen kann …« Sie verstummte. Ihr grüner Eyeliner glänzte, als das Sonnenlicht darauffiel, und ich fragte mich, wie sie es schaffte, ihn so perfekt aufzutragen.
Manchmal habe ich Mum zugesehen, wenn sie im Bad vor dem Spiegel stand. Sie öffnete ihre blassblauen Augen ganz weit und berührte dann mit dem Mascarabürstchen ihre Wimpern. Dabei verdrehte sie für einen kurzen Moment ihre Augen, dann waren sie wieder da und blickten sich selbst im Spiegel an. Wenn sie ihr Make-up auftrug, war sie völlig entspannt. Fast wie in Trance.
»Eine Mutter muss ihren Stolz hinunterschlucken«, sagte Nan Delaney und sah mich an, als ob ich das verstehen könnte, und vielleicht hätte ich es auch verstanden, wenn es nicht so unerwartet gekommen wäre. Ich erwiderte ihr Lächeln nicht rechtzeitig, und dann war der kurze Moment auch schon vorbei und sie richtete ihren hellen, stechenden Blick wieder auf Dad.
Er atmete langsam durch die Nase und sofort verkrampfte sich mein Magen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn er grob zu ihr wäre, weil sie ihn um Hilfe bat. Gespannt hielt ich den Atem an.
»Wenn Sie auf Annehmlichkeiten aus sind, dann müssen Sie auf einen Campingplatz gehen.«
Nan zuckte zusammen, aber sie wandte den Blick nicht ab. »Leichter gesagt als getan«, sagte sie. »Landfahrer sind da nicht erwünscht, sie stören die Urlauber, heißt es … Wenn wir unterwegs sind, mögen sie uns nicht, und wenn wir irgendwo ein Lager aufschlagen, mögen sie uns auch nicht«, fügte sie hinzu, und mir fiel ein, dass Trick das Gleiche gesagt hatte.
Sie erinnerte mich so sehr an ihn. Sie war so schön und braun gebrannt und sommersprossig, aber sie hatte auch einen harten Gesichtsausdruck.
»Ich will mit Ihnen nichts zu tun haben. Ich möchte, dass Sie verschwinden. Und richten Sie Ihrem Jungen aus, dass er aufhören soll, um meine Tochter herumzuschnüffeln und so weiter.«
Er sagte das wie nebenbei, aber Nans Miene veränderte sich für einen Augenblick.
Der Himmel hinter ihr war blau, und ich hörte den Verkehr, der auf der Landstraße vorbeibrauste, alles schien einen Moment lang wie in Zeitlupe abzulaufen, während sie mich ansah und über etwas nachzudenken schien. Als sie weitersprach, war ihr Ton peitschend.
»Na, das war’s dann wohl!«, sagte sie. »Ich gehe wieder zu meiner Tochter, vielleicht kann
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