Wen liebst du, wenn ich tot bin?
ließ den Kopf wieder sinken.
»Warte hier«, sagte ich, obwohl klar war, dass er sich in seinem Zustand nicht aus seinem Zimmer wegbewegen würde. Ich rannte die Treppe hinunter und versteckte den Wodka in meinem Zimmer. Dann füllte ich eine alte Teetasse mit Wasser, brachte sie hoch und hielt sie ihm hin.
»Trink!«, befahl ich noch ganz außer Atem.
Er rührte sich nicht.
»Willst du, dass Dad hochkommt? Denn das wird er, darauf kannst du Gift nehmen. Und dann wird er dich zwingen, die Lasagne zu essen.«
»Mensch, Iris! Kannst du nicht eine Minute die Klappe halten? Und mach die Tür zu.«
Ich rührte mich nicht vom Fleck, bis er den ersten Schluck aus der Tasse genommen hatte.
Ich setzte mich auf sein Bett. Es roch nach Stinkefüßen und Deo, so wie der Rest des Zimmers auch. Hin und wieder fuhr ein Windstoß durchs Fenster und blähte die Vorhänge.
»Schau mich nicht so an«, sagte er und tauchte seinen Finger in die Tasse, um irgendetwas herauszufischen.
Wenn doch nur seine Haare etwas schneller wachsen würden. Ich konnte diesen dünnen Flaum auf seinem Kopf nicht mehr sehen. Er zog an seiner Kippe, und ich beobachtete, wie der Tabak aufglühte.
»Ich meine es ernst. Schau mich nicht so an.«
Jetzt glaubte er wieder, besonders cool sein zu müssen. Lässig schob er die Zigarette in den Mundwinkel und umfasste sie so, dass die Spitze in der hohlen Hand verschwand. Er verengte die Augen zu Schlitzen, als er den Rauch einatmete.
»Du bist nicht gerade überzeugend«, sagte ich.
Er blies einen perfekten Rauchkringel in die Luft.
»Ein neuer Trick«, sagte ich. »Wow.«
»Wow«, äffte er mich nach.
Die Kippe war bis zum Filter heruntergebrannt und der Rauch roch langsam giftig. Ich nahm sie ihm aus dem Mund und warf sie aus dem Fenster. Wir starrten einander zornig an, und dann lachte er und ich auch, ich konnte nicht anders.
Ich betrachtete den König an der Wand hinter ihm. Sein ausgestreckter Arm zeigte aus dem Fenster, in Richtung Koppel, und ich stellte mir vor, wie Trick sich gerade vor dem Fernseher auf dem Sofa ausgestreckt hatte oder an dem winzigen Wohnwagentisch zu Abend aß.
»Findest du das Bild wirklich so mies?«, fragte ich.
Ich fuhr mit dem Finger die Umrisse einer perfekt gezeichneten Weinranke nach. Die Wand war glatt und kühl. »Ich finde, du solltest das Bild fertig malen.«
Sams Antwort war ein Lachen, das kein Lachen war.
»Warum sollte ich? Niemand interessiert sich dafür, ob man eine mittelalterliche Burg perfekt nachzeichnen kann oder nicht.«
»Ich schon.« Die Worte hingen zwischen uns in der Luft, schlicht und aufrichtig.
Er seufzte. »Bitte – hör endlich auf, mich so anzuschauen, Pilli.«
»Ich verstehe das alles nicht. Warum kannst du nicht einfach wieder mit Benjy befreundet sein?«
»Warum kannst du nicht einfach mit Matty befreundet sein? Die habe ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
»Das ist etwas anderes. Matty hat mir den ganzen Ärger eingehandelt. Dad spricht erst seit Kurzem wieder mit mir.«
»Tja, und Benjy ist einfach ein Baby. Er glaubt immer noch, dass die Scouts der englischen Nationalmannschaft nur auf ihn warten, dabei ist er im Zweikampf eine echte Niete.«
Inzwischen hatte Sam sich aufgesetzt und hockte mit überschlagenen Beinen auf dem Boden. Der Geruch von Alkohol schlug mir entgegen. Ich brachte ihn dazu, auch noch den letzten Rest Wasser aus der Tasse zu trinken.
»Er hat einfach keine Ahnung, von nichts«, sagte Sam.
»Er weiß eine ganze Menge. Wie meinst du das?«
Sam zuckte mit den Achseln. »Ihm ist noch nie was passiert. Punkys Vater wurde erstochen. Sogar seine Mutter war schon im Knast.«
»Na toll.«
»Er weiß, wie’s läuft. Er hat alle möglichen Sachen gemacht. Benjy ist immer nur drauf aus, ein guter Junge zu sein. So was von Mamas Liebling.«
Sam fischte eine neue Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche. Er zog die Plastikfolie ab und zerknüllte sie.
»Woher hast du das Geld für so viele Zigaretten?«
»Die beschafft uns Punkys Bruder.«
»Punky ist ein Idiot, Sam. Wenn du mit ihm zusammen bist, benimmst du dich scheußlich. Du warst scheußlich zu mir. Es war einfach peinlich.«
»Du hattest da draußen nichts zu suchen. Ich habe dir gesagt, du sollst die Finger von ihm lassen.«
»Du kennst ihn überhaupt nicht.«
»Ja. Und du kennst Punky nicht. Er ist nicht so, wie alle denken. Er kümmert sich um seine Leute. Er hält zu mir.«
Er steckte sich eine neue Zigarette an und
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