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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Hin und wieder fiel sein Blick auf Sam.
    Das Essen schmeckte mir, obwohl meine Nerven blank lagen, und ich fragte mich, welche Katastrophe eigentlich passieren musste, damit mir der Appetit verging.
    Ich legte eine Scheibe Knoblauchbrot auf Sams Teller – vielleicht würde es ja den Wodka in seinem Magen aufsaugen. Wir aßen schweigend, im Hintergrund dudelte das Radio. Es dauerte nicht lange, bis wir fertig waren.
    »So«, sagte Dad. Er warf Fiasco das restliche Knoblauchbrot zu, Stückchen für Stückchen. Das Schnappen ihrer Zähne klang in der angespannten Stille wie ein Countdown.
    »Wir müssen reden, Junge. Über diesen Kerl.«
    Sam blickte nicht auf.
    Ich stapelte unsere Teller aufeinander und quetschte mich an meinem Bruder vorbei hinter dem Tisch hervor. Ich leerte die Essensreste, die wir wie immer für Fiasco übrig gelassen hatten, in ihren Napf.
    »Punky«, sagte Dad in einem Tonfall, als spräche er von einer neu entdeckten Baumart. »Was ist das für einer?«
    Ich drehte die Wasserhähne auf und kippte Spülmittel ins Becken. Vielleicht würde Dad mich nicht wegschicken, wenn ich mich nützlich machte.
    »Sam?«
    Draußen ging die Sonne unter, es war gerade so dunkel, dass sich die hell erleuchtete Küche in der Fensterscheibe spiegelte. Im Fensterglas sah ich, wie mein Bruder die Augenbrauen hochzog.
    »Was?«
    »Und? Wo wohnt er? Wer sind seine Eltern?«
    »Hat eigentlich keine.«
    »Nicht?« Sein Tonfall war seltsam. Es klang gar nicht nach Dad.
    »Er wohnt bei seinem Bruder.«
    »Und wo?«
    »Westend.«
    »Wie alt ist der Bruder?«
    »Woher soll ich das wissen?« Sam verzog verärgert das Gesicht. »Älter.«
    »Ich kann dich auch den Bullen überlassen, wenn dir das lieber ist, Junge.«
    Sam begann zu reden, es klang so monoton wie das Rattern eines Maschinengewehrs.
    »Sein Bruder ist älter als er, vielleicht zwanzig. Sein Vater ist gestorben. Zu seiner Mutter hat er keinen Kontakt.«
    »Und? Was ist passiert? Wie war das mit dem Schuppen?«
    Sam blickte Dad zum ersten Mal in die Augen, seine Miene war ernst.
    »Es war Punkys Idee.«
    »Natürlich war es das.«
    »Ich hab ihm von den Zigeunern erzählt und er wollte sie selbst sehen.« Sams Blick streifte mich und ich versuchte, den Schaum so lautlos wie möglich von meinem Teller zu spülen.
    Dad rieb sich die Brauen.
    »Wir dachten, wenn – «
    »Wir? Ich dachte, es war Punkys Idee?«
    »War es auch. Ich dachte, wir hängen einfach ein bisschen rum und machen Quatsch, aber dann hat Punky das Fenster eingeworfen und ist in den Schuppen gesprungen und plötzlich sind alle über das Feld gerannt und abgehauen.«
    Er biss sich auf die Lippe, aber es war zu spät. Er hatte eine Spur zu begeistert geklungen.
    »Klingt nach ’ner Menge Spaß! Und du hast einfach zugesehen? Die ganze Zeit? Hast ihn einfach machen lassen?«
    Sams Schultern sackten nach unten, sein leerer Blick war auf die Tischplatte geheftet.
    »Schau nicht so dämlich«, blaffte Dad und griff unter Sams Kinn.
    Sam setzte sich aufrecht.
    Eine Minute verging, während Dad herauszufinden versuchte, warum Punky von der Schule geflogen war und ob er vorbestraft war und womit sein Bruder den Lebensunterhalt verdiente. Sam sagte, dass er das nicht wusste, sich nicht sicher war, keine Ahnung hatte. Ich klapperte im Spülbecken und rechnete jeden Augenblick damit, in mein Zimmer geschickt zu werden.
    Dad kratzte sich nachdenklich am Hals.
    »Nein«, sagte er dann, »ich verstehe es immer noch nicht. Wo ist Benjy in der ganzen Sache?«
    Sam öffnete den Mund, dann schloss er ihn wieder. Er presste die Lippen aufeinander und ich hoffte, er würde das Gleiche sagen wie zu mir – dass Punky ihm schon ein paar Mal geholfen hatte, dass er manchmal über die Stränge schlug, aber ein Freund war, dass Benjy ein Baby war. Egal, was – Hauptsache die Wahrheit. Warum versuchte er nicht wenigstens, es Dad zu erklären?
    »Und wo warst du, als Punky einfach so durch das Fenster gesprungen ist? Warum hast du ihn nicht aufgehalten, verdammt noch mal?«
    Sam lehnte sich mit geöffnetem Mund vor, als wollte er sprechen, dann ließ er sich gegen die Wand sinken.
    »Sam!«, brüllte Dad und sprang halb vom Stuhl auf. Aber sein Tonfall hatte nicht mehr die Wirkung wie zuvor. Langsam übernahm der Wodka wieder die Kontrolle über Sam. »Ich meine es ernst! Du musst mir helfen, da durchzublicken.«
    »Was?«, blaffte Sam in dem leeren, ausdruckslosen Ton, den er nur Dad gegenüber anschlug. »Was willst du

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