Wende
Unruhen heimgesucht, die sich in einigen Bürgerkriegen gewaltsam entladen hatten, und selbst wenn die Gewalt abgeebbt war, waren die Bedrohungen für Frieden und Stabilität längst nicht Vergangenheit. Ehrgeizige Feldherren rangelten um Posten und Einfluss; unruhige Soldaten waren mit Geld und Landbesitz zu entlohnen; auch in den Provinzen rumorte es, Gerüchte über Unruhen in Ägypten hatten die Getreidepreise bereits steigen lassen.
Doch in der behaglichen Sicherheit einer eleganten Villa, von Sklaven umsorgt, genossen Hausherr und Gäste den flüchtigen Luxus, all diese Plagen, alles Bedrohliche als ziemlich fern zu betrachten; zumindest war dies alles so weit weg, dass man sich gepflegten Gesprächen hingeben konnte. In dieser Muße zu den Rauchwolken emporblickend, die dem Vesuv entstiegen, wird sie die Zukunft durchaus beunruhigt haben, doch sie, Mitglieder der hauptstädtischen Elite, lebten im Zentrum der größten Macht der Welt, und zu den Privilegien, die sie am höchsten schätzten, gehörte ein kultiviertes Geistesleben. 25
Die Römer in der Spätzeit der Republik ließen nicht von diesem Privileg, selbst unter Umständen, die andere hätten verzagen und schleunigst nach Schutz suchen lassen, hielten sie recht beharrlich daran fest. Solange ihnen dieses Privileg noch blieb, musste die Welt noch intakt sein, zumindest
in ihrem ureigenen Leben würde ihnen nichts geschehen. Wie ein Mann, der sich, wenn er in der Ferne Sirenen hört, an den Flügel setzt und eine Beethovensonate spielt, so bestätigten sich die Männer und Frauen, indem sie sich in jenem Garten in spekulative Gespräche vertieften, ihre weltläufige Sicherheit.
In den Jahren, die schließlich im Mord an Julius Caesar kulminierten, gab es gewiss noch andere Antworten auf gesellschaftlichen Druck und Spannung als philosophische Spekulationen. Religiöse Kulte, die aus so fernen Weltgegenden wie Persien, Syrien und Palästina stammten, hatten ihren Weg in die Hauptstadt gefunden, wo sie, insbesondere beim niederen Volk, dem Plebs, wilde Ängste und ebenso wilde Erwartungen weckten. Einige Mitglieder der Elite – die eher Unsicheren oder auch die schlicht Neugierigen – haben die Prophezeiungen aus dem Osten vielleicht nicht nur mit verächtlicher Miene gehört, Prophezeiungen eines Erlösers, der aus obskuren Verhältnissen stammte, der untergehen, entsetzlich leiden, schließlich aber triumphieren werde. Die meisten jedoch werden solche Erzählungen als überhitzte Phantasien einer Sekte sturer Juden abgetan haben.
Wer fromm und gläubig veranlagt war, der wäre viel eher in Tempel und Kapellen gegangen, die überall verstreut in den fruchtbaren Landstrichen standen, und hätte dort gebetet. Jedenfalls war das eine Welt, die gesättigt war von der Präsenz des Göttlichen: auf Bergspitzen und an Quellen, in den warmen Winden, die Rauch aus einem mysteriösen unterirdischen Reich spieen, in Hainen aus uralten Bäumen, in deren Äste Gläubige farbig leuchtende Tücher hängten. Die Villa in Herculaneum lag in nächster Nachbarschaft zu diesem intensiven religiösen Leben, gleichwohl aber ist es unwahrscheinlich, dass sich viele derjenigen, die gerade dort ihrem erlesenen Geschmack frönten, in eine der Bittprozessionen eingereiht hätten. Urteilen wir nach den verkohlten Papyrusrollen, dann haben sich Bewohner und Gäste der Villa weniger für Rituale interessiert als für Gespräche über Sinn und Bedeutung des Lebens.
Die antiken Griechen und Römer hatten, anders als wir, nicht viel Verständnis für Genies, die isoliert vor sich hin arbeitend die vertracktesten Probleme durchdenken; jedenfalls idealisierten sie den einsamen Denker nicht. Für uns dagegen wurde ein Descartes zum prägenden Sinnbild
des geistigen Lebens, der Mann, der zurückgezogen in seiner privaten Kammer alles in Frage stellte, oder der aus seiner Gemeinde ausgestoßene Spinoza, der seinen Gedanken nachhing, während er seine Linsen schliff. Diese Vorstellung wahrhaft geistiger Betätigung gründet aber in einem kulturellen Wandel gegenüber der Antike. Vorbild waren die frühchristlichen Einsiedler, die sich bewusst aus allem zurückzogen, was Heiden schätzten: der heilige Antonius (um 250–356) in der Wüste, der heilige Symeon Stylites der Ältere (390–459), der sich auf seiner Säule zusammenkauerte. Tatsächlich aber war es, wie moderne Gelehrte zeigen konnten, auch für solche Gestalten gläubigen Lebens charakteristisch, dass verschworene Gruppen
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