Wende
von Anhängern hinter ihnen standen; und selbst wenn sie einsiedlerisch getrennt von allen lebten, spielten sie im Leben großer Gemeinden doch eine bedeutsame Rolle. Das beherrschende Bild aber, das sie schufen – oder das nach und nach um sie herum geschaffen wurde –, war eines radikaler Isolation.
Ganz anders bei den Griechen und Römern. Von der Sache her verlangen Denken und Schreiben natürlich Ruhe und ein Minimum an Ablenkung, und so werden sich auch antike Dichter und Denker hin und wieder aus Unruhe und lärmender Geschäftigkeit der Welt zurückgezogen haben, um zu Ende zu führen, was sie vorhatten. Doch das Bild, das sie von sich und ihrem Metier entwarfen, war eines der Geselligkeit. Dichter bezeichneten sich selbst als Schäfer, die für andere Schäfer sangen; Philosophen präsentierten sich als Männer, die sich in lange, oft über mehrere Tage geführte Dialoge vertieften. Der Rückzug aus den Ablenkungen der alltäglichen Welt wurde nicht zum Rückzug in die einsame Zelle, sondern führte zum ungestörten Gedankenaustausch mit Freunden in einem Garten.
Menschen, sagte Aristoteles, sind gesellige Tiere; die menschliche Natur eines anderen anzuerkennen hieß also, sich an der Aktivität einer Gruppe zu beteiligen. Und die beliebteste dieser Betätigungen war für kultivierte Römer – so wie zuvor für die Griechen – das Gespräch. Es gebe, schreibt Cicero zu Beginn eines für die damalige Praxis typischen philosophischen Werks, eines Dialogs also, eine breite Vielfalt von Meinungen zu den wesentlichsten religiösen Fragen, und er fährt fort:
Dies ist mir schon oft aufgefallen, besonders jedoch damals, als bei meinem Freund C. Cotta sehr gewissenhaft und gründlich über die unsterblichen Götter diskutiert wurde.
Denn als ich auf seine Bitte und Einladung hin an den Latinischen Feiertagen zu ihm kam, traf ich ihn in der Exedra sitzend an; er unterhielt sich gerade mit dem Senator C. Velleius, dem die Epikureer seinerzeit den ersten Rang unter unseren Landsleuten zuerkannten. Ebenso anwesend war auch Q. Lucilius Balbus, der in der stoischen Lehre so große Fortschritte zu verzeichnen hatte, dass er mit den besten Griechen darin auf eine Stufe gestellt wurde. 26
Cicero möchte den Lesern seine Gedanken nicht als in einsamer Reflexion entstandenen, fertigen Traktat präsentieren; er präsentiert sie lieber im Austausch von Standpunkten und Ansichten unter gesellschaftlich und intellektuell Gleichen – in einem Disput, in dem er selbst nur eine kleine Rolle spielt und der keinen eindeutigen Sieger hat.
Der Ausgang des Dialogs – eines langen Textes, der mehrere beachtliche Papyrusrollen gefüllt haben wird – ist charakteristisch unentschieden:
Mit diesen Worten gingen wir auseinander, und zwar so, daß auf Velleius der Vortrag Cottas wahrer wirkte, während für mich die Äußerungen des Balbus mehr Ähnlichkeit mit der Wahrheit zu haben schienen. 27
In diesem offenen Ende zeigt sich keine intellektuelle Bescheidenheit – Cicero war gewiss kein bescheidener Mann –, sondern ein Verhalten kultivierter Offenheit unter Freunden. Nicht die Schlüsse, zu denen man gelangt, der Austausch selbst transportiert den Großteil von Bedeutung und Sinn. Es ist vor allem die Diskussion, auf die es ankommt, die Tatsache, dass wir uns so einfach verständigen können, mit einer Mischung aus Witz und Ernsthaftigkeit, ohne abzugleiten in Geschwätz oder Beschimpfungen, stets Raum lassend für abweichende Ansichten. Dazu nochmals Cicero:
Es sei also diese Gesprächsführung ... gelassen und nicht rechthaberisch, und sie besitze Charme. Auch schließe sie andere nicht aus, als ob sie in ihren Besitz eindrängen, sondern sie halte Abwechslung [der Redenden] in allen Dingen, besonders aber im gewöhnlichen Gespräch, für nicht unangemessen. 28
Die Dialoge, die Cicero und andere schrieben, waren, auch wenn die auftretenden Personen durchaus real waren, keine Nachschriften wirklicher Disputationen, sondern idealisierte Versionen von Gesprächen, wie sie an Orten wie der Villa in Herculaneum durchaus hätten stattfinden können. Wie aus den Themen der dort gefundenen, verkohlten Papyrusrollen zu schließen ist, berührten die Gespräche in dieser Umgebung Musik, Malerei, Dichtung, die Kunst der öffentlichen Rede und anderes; also alles, was zu den immer wiederkehrenden Themen und Interessen gebildeter Griechen und Römer gehörte. Wahrscheinlich haben sie sich auch wissenschaftlichen, ethischen
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